Samstag, 14. Juni 2025

Gueules Noires - The Deep Dark (2023)

https://www.imdb.com/de/title/tt20452218/

1856 in einer Kohlenmine im Département Pas-de-Calais in Nordfrankreich: Eine Gruppe von Bergleuten begegnet unter Tage einer mysteriösen, bedrohlichen Kreatur, als eine Explosion sie alle unter Geröllmassen begräbt. Exakt 100 Jahre später kommt Amir (Amir El Kacem) in der noch immer berüchtigten Mine an. Er hat seine Heimat Marokko verlassen, um der dort herrschenden Not zu entkommen, findet aber keine andere Arbeit als in der verwahrlosesten und gefährlichsten Mine Frankreichs. Hier arbeiten nur noch Männer, die entweder bereits mit dem Leben abgeschlossen haben oder wirklich verzweifelt sind, weil sie nirgendwo anders unterkommen. Kurz nach seiner Einweisung wird er einem von Vorarbeiter Roland (Samuel Le Bihan) angeführten Trupp zugeteilt, der einen gewissen Professor Berthier (Jean-Hugues Anglade) nach unten begleiten soll, weil er dort angeblich Proben sammeln will. Kurz nach dem Herablassen in 1.000 Meter Tiefe werden die Männer durch einen Einsturz im Schacht unter der Erde eingeschlossen. Irgendwie müssen sie einen Weg zurück finden und dabei auch noch der unheimlichen Präsenz entkommen, die in den Tunneln auf sie lauert.

Mathieu Turis "The Deep Dark" ist ein ungewöhnlicher Horrorfilm, der tief unter der Erde spielt und dabei weniger auf Jumpscares als auf Atmosphäre, Handwerk und Mythologie setzt. Der Film beginnt mit einer archaischen Kulisse: Frankreich in den 1950er Jahren, in einem Zeitalter des industriellen Fortschritts, aber auch der Ausbeutung. Eine Gruppe von Bergleuten, darunter der erfahrene Roland (Samuel Le Bihan), der idealistische Professor Berthier (Jean-Hugues Anglade) und der junge marokkanische Arbeiter Amir (Amir El Kacem), begibt sich in ein bereits aufgegebenes Bergwerk, um dort wissenschaftliche Proben zu sammeln. Dass die Mine unter den Arbeitern als verflucht gilt, wird dabei kaum ernst genommen - bis die Expedition durch einen plötzlichen Einsturz in Lebensgefahr gerät und ein uraltes Übel geweckt wird.

Was "The Deep Dark" bemerkenswert macht, ist die Art, wie der Film mit Enge und Dunkelheit arbeitet. Die Bildgestaltung lässt den Zuschauer fast körperlich spüren, wie die Gänge enger, die Luft dünner und der Weg nach draußen unmöglicher wird. Die Kamera haftet förmlich an den Gesichtern, oft nur von einem einzigen Lichtkegel erfasst. Man fühlt sich gefangen, körperlich und psychisch, und dieser klaustrophobische Horror ist der wahre Motor des Films. Turi lässt sich Zeit mit der Eskalation, was manchen als schleppend erscheinen mag, doch gerade diese Langsamkeit ist dramaturgisch geschickt: Sie gibt der Angst Raum zu wachsen, bis sich schließlich der Horror entfaltet.


Die mythologische Dimension, in der der Film auf H. P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos anspielt, ist subtil, aber wirkungsvoll eingebettet. Die Kreatur, Mok’Nor Roth, ist nicht einfach ein Monster, sondern die Verkörperung einer alten, jenseitigen Ordnung. Es ist nicht das Böse im klassischen Sinne, sondern das Unbegreifliche, das Gleichgültige, das unsere Existenz infrage stellt - ganz im Sinne Lovecrafts. Dass Turi sich hier auf praktische Effekte verlässt, statt digitale Effekthascherei zu betreiben, ist nicht nur eine ästhetische Entscheidung, sondern eine Haltung: Der Schrecken ist körperlich, greifbar, nicht glatt poliert. Mok’Nor Roth, mit seinem skelettartigen Körper und den sechs Armen, ist zugleich faszinierend und abstoßend, ein echtes Geschöpf des Alptraums, das man nicht so leicht vergisst.

Schauspielerisch tragen vor allem Le Bihan und Anglade den Film. Ersterer verkörpert einen Mann, der durch Routine und Pflichtbewusstsein geprägt ist, dessen Fassade aber unter dem Druck der Situation bröckelt. Letzterer spielt seinen Professor nicht als verrückten Wissenschaftler, sondern als neugierigen, fast naiv getriebenen Mann, der bis zuletzt glaubt, es ginge um Erkenntnis – und nicht um das nackte Überleben. Amir El Kacem bringt mit seiner Figur nicht nur einen sozialen Kommentar zur kolonialen Realität jener Zeit ein, sondern auch ein stilles moralisches Zentrum. Die anderen Figuren bleiben funktional - sie sind da, um zu sterben, und das tun sie mit filmischem Anstand. Die Musik von Olivier Derivière arbeitet mit orchestralen Elementen, aber nie plakativ. Vielmehr durchzieht der Score den Film wie ein dunkler Strom, mal kaum hörbar, mal dröhnend bedrohlich. Er ergänzt das Visuelle kongenial, ohne es zu überfrachten. Turis Regie bleibt dabei stets kontrolliert, fast zurückhaltend. Er verlässt sich auf Stimmung, nicht auf Spektakel. Das Budget mag begrenzt gewesen sein, doch das Resultat ist ein in sich geschlossener, handwerklich solider und künstlerisch ambitionierter Horrorfilm. Was bleibt, ist der Eindruck einer Welt, die sich öffnet und gleich darauf wieder verschließt, als wäre sie nie da gewesen - eine Reise in die Tiefe, nicht nur geologisch, sondern auch existenziell. "The Deep Dark" ist kein Film für schnelle Effekte, sondern für Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich auf eine dichte Atmosphäre, eine entschleunigte Erzählweise und eine philosophische Tiefe einlassen wollen. 

6/10

Quellen:
Inhaltsangabe: Plaion
Poster/ArtworkFulltime Studio

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen