Leicht verdientes Geld wittern die Möchtegern-Gangster Joey (Melissa Barrera), Frank (Dan Stevens), Dean (Angus Cloud), Sammy (Kathryn Newton), und Rickles (William Catlett) bei diesem Auftrag: Für ihren Auftraggeber Lambert (Giancarlo Esposito) sollen sie die zwölf Jahre alte Abigail (Alisha Weir) entführen, sie zum einem gottverlassenen Herrenhaus bringen, dort eine Nacht lang in den Augen behalten und am Ende dafür die unglaubliche Summe von 50 Millionen US-Dollar Lösegeld kassieren. Was soll schon schiefgehen, wie will sich ein zwölf Jahre altes kleines Mädchen denn schon großartig zur Wehr setzen? Die Antwort bekommen die Gangster schneller als ihnen lieb ist, als einer nach dem anderen aus ihren Reihen einfach spurlos verschwindet. Zuerst wollen sie es nicht wahrhaben, aber dann können sie es nicht länger leugnen: Das Mädchen ist wohl nicht so wehrlos, wie es zunächst den Anschein machte…
"Abigail" ist ein Film, der auf beeindruckende Weise beweist, dass das Horrorkino in seiner ständigen Erneuerung niemals aufhört, das Publikum zu überraschen und zu verstören und der spoilerfrei kaum zu rezensieren ist. Auf den ersten Blick scheint es ein vertrautes Szenario zu sein - eine Gruppe von Entführern, ein vermeintlich schwaches Opfer, das in der Isolation eines abgelegenen Hauses gefangen gehalten wird. Doch schon bald enthüllt sich der wahre Kern des Films: Das Opfer ist keineswegs das hilflose Kind, das man zu sehen glaubt, sondern eine vampirische Kreatur, deren Gewalt und Macht weit über das hinausgehen, womit die Täter und die Zuschauer rechnen. Die Wucht dieses Twists erinnert an die besten Momente des modernen Horrorkinos, an jene Augenblicke, in denen ein Film nicht nur die Handlung, sondern auch die Wahrnehmung des Publikums auf den Kopf stellt. Abigail ist nicht das Opfer, sondern die Verkörperung einer uralten Bedrohung, und dieser Rollentausch gibt dem Film seine düstere Brillanz.
Was an "Abigail" besonders auffällt, ist die Art, wie die Gewalt inszeniert wird. Sie ist nicht hemmungslos grotesk, sondern choreografiert wie ein makaberer Tanz, voller Energie, Kreativität und visuellem Einfallsreichtum. Blut und Schrecken werden dabei nicht zum Selbstzweck, sondern zu einem Teil der Ästhetik: Die Gewalt ist überhöht, fast opernhaft, und erzeugt ein Gefühl zwischen Abscheu und Faszination. Gerade in dieser Ambivalenz liegt die Stärke des Films. Der Zuschauer soll sich nicht nur fürchten, er soll lachen, sich ekeln, staunen und am Ende anerkennen, dass Horror ein vielschichtigeres Genre ist, als es Klischees oft vermuten lassen. Abigail als Figur selbst vereint das Kindlich-Unschuldige mit brutaler Übernatürlichkeit, und dadurch entsteht eine Spannung, die das Publikum in Atem hält: Ist dies ein Monster, das man fürchten muss, oder die tragische Verkörperung einer Macht, die man nie hätte herausfordern dürfen?Der Twist, der Abigail vom Opfer zur Täterin macht, arbeitet auch subtil mit moralischen Fragen. Die Gangster, die das Mädchen verschleppen, sind keine Unschuldigen - im Gegenteil, sie scheinen zunächst die wahren Monster zu sein, gierig, gewalttätig und arrogant. Doch der Film zwingt den Zuschauer, das Bild zu wenden: Wer ist hier die eigentliche Bedrohung? In dieser Verschiebung liegt eine der großen Qualitäten des Drehbuchs, das mit dem Publikum genauso spielt wie mit den Konventionen seines Genres. Abigail ist ein Werk, das von der Lust an der Erzählung lebt, das sich nicht scheut, sein eigenes Publikum zu überrumpeln, und dabei eine stilistische Präzision aufweist, die es weit über den Durchschnitt des Horrorkinos hinaushebt. Es ist brutal, es ist clever, es ist unterhaltsam - aber vor allem ist es ein Film, der den Mut hatte, eine altbekannte Figur neu zu denken und den Horror mit einer Energie zu versehen, die man nicht so leicht vergisst.



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