Freitag, 11. Oktober 2019

[KINO] Joker (2019)

https://www.imdb.com/title/tt7286456/

1981 in Gotham City: Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) fristet ein trostloses Leben. Wenn er nicht gerade auf den Straßen von Gotham City als Clown verkleidet Werbeschilder für Schlussverkäufe herumwirbelt oder von jugendlichen Schlägern verprügelt wird, kümmert er sich zuhause um seine kranke Mutter Penny (Frances Conroy). Flecks Geisteskrankheit wird durch die ständigen Demütigungen immer schlimmer. Mittlerweile schluckt er sogar sieben Psychopharmaka gleichzeitig. Sein Leben nimmt eine dramatische Wendung, als er von seinem Kollegen Randall (Glenn Flesher) einen Revolver geschenkt bekommt, für den er kurz danach auch Verwendung findet: Als in der U-Bahn drei betrunkene Yuppies für Stunk sorgen, knallt er sie kurzerhand ab – und löst damit unbeabsichtigt eine Bewegung aus, die gegen die Oberschicht aufbegehrt. Trotz seiner instabilen psychischen Verfassung verfolgt Arthur seine Karriere als Stand-up-Comedian dennoch weiter und landet schließlich bei seinem großen Idol, dem Late-Night-Talker Murray Franklin (Robert DeNiro). Der hat für das Nachwuchstalent jedoch nichts als Spott übrig und führt ihn als unlustigsten Komiker aller Zeit vor ...

Als Fan von Superheldenfilmen wird man ja in den letzten Jahren geradezu verwöhnt: Nicht ein Jahr vergeht, in dem nicht mindestens drei Superheldenverfilmungen über die Leinwand flimmern und zwei neue Serien an den Start gehen. Manchmal geht das gut, und gerade MARVEL hat dafür ein Händchen, manchmal geht das eher schief - und leider ist das meistens bei DC der Fall. Schlimmer noch der Umstand, dass ein R-Rating, was gerade bei den düsteren DC-Verfilmungen angebracht wäre, oftmals vom Studio auf ein wesentlich familienfreundlicheres PG-13-Rating heruntergeschnippelt wird. Das Ergebnis ist dann eben recht unbefriedigend und gerade Fans von Comic-Kost, die auch härter sein darf, schauen in die Röhre. Erst mit "Logan" oder "Deadpool" wurde das Gegenteil bewiesen, nämlich das ein R-Rating eben kein wirtschaftliches Disaster werden muss. Und dafür mussten sich WARNER und DC ausgerechnet bei der Konkurrenz bedanken. Denn ohne diese Filme wäre man wohl niemals das Wagnis eingegangen, einen harten "Joker" zu drehen, der dieser faszinierenden und völlig verrückten Figur aber nur gerecht wird. Denn eines ist von der ersten Sekunde an völlig klar: "Joker" bricht mit allen anderen Comicverfilmungen und präsentiert sich beinahe als Arthouse-Movie im Superheldengewand.

Wer also bei "Joker" ein Actionfeuerwerk erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Regisseur Todd Phillips, der bisher eher Komödien wie "Hangover" oder "Road Trip" gedreht hat, legt den Fokus voll und ganz auf den größten Widersacher Batmans und geht Wege, die im Vorfeld so nicht zu erwarten waren. Dass der Film - ein Film über Superhelden, bzw. deren Antagonisten - mit dem Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet wurde, ließ schon mal aufhorchen. Eine Comicverfilmung, die gegen anspruchsvolle Werke in Venedig antritt? Und dann auch noch den ersten Platz belegt und somit als Sieger hervorgeht? Spätestens jetzt sollte jedem klar sein, um was für eine Art von Film es sich beim "Joker" handelt.


Todd Phillips beraubt den Superheldenstoff der üblichen Genre-Elemente und verhilft dem DC-Antagonisten zu einer Origin-Story aus dem zwischen Neoliberalismus und Populismus zerrissenen Amerika. Schon die erste Einstellung lässt erahnen, welche Richtung hier eingeschlagen wird. Der Joker spricht. Er erzählt von seinem Befinden – und das in einem sehr ruhigen, nachdenklichen Ton, die Kamera bewegt sich dabei fast überhaupt nicht. Und genau dieser Grundtenor wird sich in den nächsten 122 Minuten auch nicht mehr ändern. Der Zuschauer beobachtet Arthur Fleck, wie er sich von einer Niederlage zur nächsten schleppt. Als Clown und Stand-up-Comedian will er die Menschen zum Lachen bringen, schlussendlich ist es aber bloß er, der auf der Bühne steht und (auch aufgrund seiner psychischen Krankheit) über seine eigenen Witze lacht. Ein Lachen, das so ungeheuerlich wie verstörend ist, quälend in die Länge gezogen. Da steht er nun im Scheinwerferlicht, isoliert von all den Menschen um sich herum und unfähig, aus dem verführerisch wie bedrohlichen Lichtkegel auszubrechen. Am eindrücklichsten gestaltet sich jedoch ein anderes Bild: Eine riesige Treppe, die sich Arthur jeden Abend hochschleppt, um nach Hause zu seiner Mutter zu kommen, mit der er in einem trostlosen Apartment lebt. Nachdem er den ganze Tag von den Menschen der Stadt gequält wurde, wirkt diese gewaltige Treppe wie die letzte Hürde, die ihm das System täglich vor die Füße legt und hofft, dass er daran zugrunde geht. Monumental ragt sie in die Höhe – keiner der gewaltigen Wolkenkratzer von Gotham City wird auch nur ansatzweise so einschüchternd inszeniert wie dieser letzte Bußgang. Todd Phillips, der gemeinsam mit Scott Silver ebenfalls das Drehbuch zu "Joker" schrieb, zeichnet ein überaus auswegloses Bild für seinen Protagonisten, der schließlich mit dem Kopf voraus in eine Sackgasse rennt, ehe er im Wahnsinn und Chaos der urbanen Apokalypse seine Erfüllung findet.


Phillips zeichnet eine Charakterstudie auf die Leinwand, bei der die Hauptfigur dem Zuschauer näher gebracht wird und man deren traurigen Beweggründe sogar nachvollziehen kann, auch wenn man die Entwicklung mitsamt der grausamen Taten nicht gutheißen muss. Als Beobachter fühlt man dennoch eine gewisse Empathie, die den meisten Figuren in Gotham leider abhanden gekommen ist. Und doch ist es lediglich ein Spiegelbild der Gesellschaft, das selbst heute noch omnipräsent zu sein scheint. Wir leben in einer Welt aus Egoismus und es tut gut, wenn ein Film zum Nachdenken anregt und eben diese Dinge unterschwellig anspricht. Einzig die Glorifizierung des Jokers kommt etwas plötzlich daher, weil der Film sich so sehr auf seine Hauptfigur konzentriert, dass er das Drumherum und somit das große Ganze ein wenig zu viel vernachlässigt.

Und das ist bemerkenswert, zumal sich "Joker" in den letzten Minuten tatsächlich in ein unkontrollierbares Inferno verwandelt und die Distanz zu seiner Hauptfigur verliert. Joaquin Phoenix spielt die Transformation seiner Figur mit unglaublicher Hingabe und verschmilzt wahrlich mit seiner Umgebung. Eine Umgebung, die Todd Phillips stets in gelungenen Aufnahmen präsentiert, ihr allerdings viel zu selten die Möglichkeit zur Entfaltung gewährt. Meistens fokussiert sich "Joker" auch zu verbissen auf einzelnen Stationen, die der Film abgehakt wissen möchte, bevor er auf sein großes Finale zusteuert. Obgleich Arthur Fleck als unzuverlässiger Erzähler porträtiert wird, sind die Lücken in seiner Vergangenheit nicht vage genug, um die Ambivalenz, die sich im Kern der Joker-Figur versteckt, komplett auszureizen. Es stellt sich erneut die Frage, ob dies bei einer Figur wie die des Jokers überhaupt möglich ist. Von dem flüchtigen Gespenst, das Heath Ledger 2008 in "The Dark Knight" mit verblüffenden Nuancen verkörperte, ist Todd Phillips Version ein ganzes Stück entfernt. Trotz gewisser Überraschungen und der Variation vertrauter Motive aus der "Batman"-Mythologie erweist sich "Joker" gerade im Mittelteil als Film, der nicht aus seiner eigenen Durchschaubarkeit ausbrechen kann. Auf jede furiose Passage folgt eine lähmende Erklärung, wodurch sich "Joker" niemals komplett in die düstere Großstadtsymphonie verwandeln kann, die der Film mit jeder weiteren Einstellung heraufzubeschwören versucht. Todd Phillips hat für jede Frage eine Antwort parat, bevor sie überhaupt gestellt werden kann - als würde ihm die Fantasie für die Ungewissheit des Abgrunds fehlen, auf den Joaquin Phoenix mit seiner herausragenden Performance als Ausgestoßener zusteuert.

Und natürlich funktioniert solch ein Drama nur, wenn die Figuren genug Background spendiert bekommen und man die Hintergründe erfährt. Es ist klar, dass hierfür der Joker ein wenig entmystifiziert werden muss, Details der Vorlage hinzugedichtet werden und es einen neuen Interpretationsansatz gibt. Aber all diese Dinge sind nicht störend, im Gegenteil: Sie machen das Geschehen greifbarer. Christopher Nolan ist ein ähnliches Kunststück gelungen, jedoch in einer anderen Form und mit einer völlig anderen Art von Film. Die "The Dark Knight"-Trilogie und "Joker" unterscheiden sich in Gänze, selbst die Darstellung des Jokers ist ein komplett neuer Ansatz.
 

Joaquin Phoenix beweist hier endgültig, dass er zur absoluten Elite Hollywoods gehört und praktisch jede Rolle eindrücklich verkörpern kann. Er verleiht dem Antagonisten genau die Tiefe und Emotionen, die nötig sind – und mehr noch: Während Jared Letos Joker in "Suicide Squad" eher so wirkte, als würde ein durchgeknallter Drogendealer dem Joker nachahmen, hat man bei Phoenix durchgehend das Gefühl, diesmal den echten, ernstzunehmenden und absolut bösartigen Joker zu Gesicht zu bekommen. Und seine ausgeleuchtete Hintergrundgeschichte stört zu keinem Zeitpunkt; sie ist sogar sehr spannend, weil man selbst nicht weiß, worauf der Film letztendlich hinaus will und welche Wege die Geschichte beschreiten wird. Todd Phillips spielt mit den Erwartungen der Zuschauer, streut hier und da noch einen Mini-Twist ein und erschafft äußerst unterhaltsame zwei Stunden, in denen die Stimmung, die der Film vermittelt, ständig aufs Gemüt drückt.

Der Score des Isländers Hildur Guðnadóttir (der zuletzt mit "Chernobyl" einen richtig guten Score ablieferte) untermalt das Geschehen nahezu perfekt, ohne sich jedoch in den Vordergrund drängen zu wollen. Auch die Musikauswahl mit Songs von Sinatra und Durante (um nur zwei zu nennen) ist äusserst stimmig und nie aufdringlich. Die bedrückende Atmosphäre sowie die realistische Entwicklung sorgen dann für den letzten Punch in die Magengrube, wenn es expliziter wird und der Joker seine wahre Fratze zeigen darf. Aber auch hier bleibt der Film eher zurückhaltend. Ja, die Kamera hält drauf und ja, eine Handvoll Szenen sind ziemlich brutal. Aber das geschieht bis auf eine Ausnahme nie zum Selbstzweck und in einem sehr geringen Ausmaß.

Doch jedes einzelne Mal sitzt der Schock tief und erzeugt dabei eine Stille im Kinosaal, welche die Sogkraft des Films am besten wiederspiegeln vermag, vor allem in seiner aufwühlenden Traurig- und Einsamkeit, selbst wenn am Ende etwas Enttäuschung zurückbleibt, dass dieser Film nicht ungeheuerlicher ausgefallen und mit mehr feinen Zwischentönen ausgestattet ist. 

9/10

Von WARNER BROS. Home Entertainment kommt der Film auch als "Limited 2-Disc-Edition" mit Ultra-HD Blu-ray und Blu-ray im Steelbook.

Quellen
Inhaltsangabe: Warner Bros.

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