Nach einem verheerenden Atomkrieg ist die Welt des Jahres 1984 dreigeteilt. Das Reich Ozeanien befindet sich ständig im Krieg mit Ostasien oder Eurasien und wird von der totalitären "Partei" beherrscht, die unter Führung des omnipräsenten "Großen Bruders" jede Bewegung ihrer Untertanen verfolgt. Gefühle sind verboten, intensive zwischenmenschliche Kontakte strengstens untersagt. Winston Smith (John Hurt) ist Teil dieser tristen, farblosen Welt. Als Mitglied der Äußeren Partei ist er ein treuer Gefolgsmann des "Großen Bruders" und arbeitet für das Ministerium für Wahrheit, wo Zeitungsartikel und Informationen nach den Wünschen der Partei "korrigiert" und umgeschrieben werden. Eines Tages beginnt er jedoch am System zu zweifeln: Winston beginnt ein Tagebuch zu schreiben und findet in der Parteigenossin Julia (Suzanna Hamilton) eine Gleichgesinnte. Obwohl sie sich bemühen, ihre Affäre geheim zu halten, bleibt der Regelverstoß der Gedankenpolizei nicht lange verborgen...
George Orwell machte keinen Hehl daraus, dass sein Roman "1984" nicht wirklich von der Zukunft handelte, sondern von der Zeit, in der er ihn schrieb, nämlich den trostlosen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als England in Armut und Hunger schwankte. In einem Roman, in dem Leidenschaft als Verbrechen dargestellt wird, wird die größte Leidenschaft nicht für Sex, sondern für geschmuggelte Erdbeermarmelade, Kaffee und Schokolade ausgedrückt. Als Orwell 1948 seinen Roman schrieb, befürchtete er, dass Hitlerismus, Stalinismus, Zentralismus und Konformität die Welt in ein totalitäres Gefangenenlager verwandeln würden. Wenn man sich auf der ganzen Welt umschaut, kann man kaum sagen, dass er sich völlig geirrt hatte.
Michael Radfords Film von Orwells Vision gelingt es gut, die Grenze zwischen der "Zukunftswelt" von 1984 und der düsteren Nachkriegswelt, in der Orwell schrieb, zu ziehen. Das Jahr 1984 des Films ist wie ein Jahr, das man durch eine Zeitschleife erreicht hat, eine alternative Realität, die aus alten Radioröhren und zertrümmerten Büromöbeln konstruiert zu sein scheint. In diesem Film gibt es keine einzige Requisite, die man nicht auch auf einem Schrottplatz kaufen könnte, und doch ist das visuelle Ergebnis unheimlich: Orwells Held Winston Smith lebt in einer Welt der grimmigen und erdrückenden Unmenschlichkeit, der zerbombten Fabriken, der von Ungeziefer befallenen Schlafzimmer und der Bürger, die verzweifelt nach den einfachsten Freuden suchen. Der Film beginnt damit, dass Smith die Geschichte neu schreibt: Seine Aufgabe ist es, veraltete Regierungsdokumente so zu ändern, dass sie die aktuelle Realität widerspiegeln. Er streicht methodisch alte Schlagzeilen aus, vernichtet die Fotos neu geschaffener "Unpersonen" und nimmt an Massenkundgebungen teil, bei denen sich die Anbetung des Großen Bruders mit betäubenden Berichten über den endlosen Weltkrieg abwechselt, der immer noch irgendwo im Gange ist und in den irgendjemand verwickelt ist. In Smiths Welt tritt ein Mädchen, Julia, die ihm einen Brief von betäubender Kraft zusteckt. Der Brief lautet: "Ich liebe dich." Smith und Julia werden Revolutionäre, indem sie Liebe machen, durch die Landschaft spazieren und Erdbeermarmelade essen. Dann wird Smith in das Büro von O'Brien gerufen, einem hohen Funktionär der "inneren Partei", der ebenfalls ein Revolutionär zu sein scheint, und übergibt ihm die verbotenen Schriften eines Staatsfeindes.
Diese Geschichte ist natürlich wohlbekannt. "1984" ist wohl einer der meistgelesenen Romane unserer Zeit. Bemerkenswert an dem Film ist, wie sehr er seiner Buchvorlage treu bleibt: der Film sieht aus, fühlt sich an und schmeckt und riecht fast wie Orwells düstere und wütende Vision. John Hurt ist mit seinem dürren Körper und seinem faltigen und müden Gesicht der perfekte Winston Smith und Richard Burton, der in diesem Film so alt und müde aussieht, dass es kein Wunder ist, dass er kurz nach der Fertigstellung starb, ist der immens zynische O'Brien, der sich den Menschen nur dann nahe fühlt, wenn er sie foltert. Suzanna Hamilton ist Julia, eine wilde kleine Kriegswaise, deren Rebellion im Wesentlichen von ihrem Hunger inspiriert ist. Radfords Stil im Film ist ein interessantes Experiment. Wie Chaplin in "Moderne Zeiten" verwendet er Dialogpassagen, die nicht verstanden werden sollen - unsinnige Wörter und Sätze, die verstümmelt über Big Brothers primitives Fernsehen übertragen werden und denen man dennoch nicht mehr oder weniger aufmerksam zuhört als den Botschaften, die etwas aussagen. Die Verfilmung von Orwells Roman aus dem Jahr 1954 machte daraus eine warnende, vereinfachte Science-Fiction-Geschichte. Diese Version dringt viel tiefer in das Herz der Finsternis des Romans ein. Sehr faszinierend.
7/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Umbrella-Rosenblum Films Production/Virgin
Poster/Artwork: Capelight
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