Dienstag, 20. August 2024

All Of Us Strangers (2023)

https://www.imdb.com/title/tt21192142/

Adam (Andrew Scott) hat eines Nachts in seinem fast leeren Londoner Hochhaus eine zufällige Begegnung mit seinem mysteriösen Nachbarn Harry (Paul Mescal), die seinen Alltagsrhythmus durchbricht. Sie kommen sich schnell näher und der sonst so introvertierte Adam vertraut sich dem einfühlsamen Harry schnell an. Er erzählt ihm von seiner Kindheit und von seinen Plänen für ein Buch, das er über sein Leben schreiben will. Dazu begibt er sich auf eine schwierige Reise in die Vergangenheit. Er fährt zu seinem Elternhaus, wo alles so zu sein scheint, wie er es zurückgelassen hat. Auch seine längst verstorbenen Eltern (Claire Foy und Jamie Bell) scheinen keinen Tag gealtert zu sein. Hat seine lange Einsamkeit und Trauer dazu geführt, dass er jetzt die Kontrolle über die Realität verliert? Denn wie sollte es sonst möglich sein, plötzlich seinen verstorbenen Eltern gegenüberzustehen?

Ein halbes Lächeln huscht über Andrew Scotts Gesicht, ein unwillkürliches Zucken, mit zusammengepressten Lippen und dunklen Augen, in denen unvergossene Tränen glitzern. Technisch gesehen ist es ein Lächeln, aber es kommt einem so vor, als hätte man niemals jemanden gesehen, der trauriger aussah. Dieser Schauspieler hat die seltene Gabe, mit einem einzigen Blick die oberste Schicht einer Figur abzutragen und den Zuschauer in Jahrzehnte kaleidoskopischen Schmerzes und Verlusts hineinzuziehen. Es ist eine Gabe, die selten besser eingesetzt wurde als in Andrew Haighs wunderschönem, erschütterndem und zutiefst persönlichem fünften Spielfilm "All Of Us Strangers".

Scott spielt Adam, einen Drehbuchautor, der mit einem Drehbuch ringt, das aus seiner Vergangenheit stammt. Es läuft nicht so gut. Der erste Blick fällt auf sein Gesicht, das sich in den Fenstern seiner Wohnung spiegelt, während er lustlos in die Londoner Abenddämmerung blickt, einen weiten Himmel, der mit Wolken bedeckt ist, die so tief und dunkelblau sind wie die Trauer selbst. Adam taucht ein in die Musik seiner Kindheit - Pop-Klassiker der 80er von den Pet Shop Boys und Frankie Goes to Hollywood - und durchsucht eine Kiste mit Familienschätzen, die eine Verbindung zur fernen Vergangenheit herstellen. Aber er scheint vom Rest der Welt abgekoppelt - etwas, das seine hallende, angenehm unpersönliche Wohnung in einem fast leeren Hochhaus in Ballard nur noch unterstreicht. Dann passieren zwei Sachen. Zwischen Adam und seinem Nachbarn Harry (Paul Mescal), einem der wenigen anderen Bewohner des Gebäudes, beginnt eine zaghafte Beziehung aufzublühen. Und während eines Recherchebesuchs in seinem Elternhaus im Vorort Dorking begegnet Adam seinen verstorbenen Eltern (gespielt von Claire Foy und Jamie Bell), unverändert, nicht gealtert und noch immer genauso lebend wie kurz vor ihrem Tod vor 30 Jahren, als Adam ein Kind war. Und während Scott als unser emotionaler Anker fungiert und die übernatürlichen Elemente der Geschichte erdet, ist es erwähnenswert, dass die gesamte Besetzung durchweg tadellos ist.

Während die Verbindung zwischen Adam und Harry sich in die Möglichkeit einer gemeinsamen Zukunft hinein festigt (Szenen, in denen sie einander bei der Entdeckung ihrer Körper beobachten, wurden von Kameramann Jamie Ramsay mit einer taktilen, zärtlichen Linse gedreht), wird Adam immer wieder in die Vergangenheit zurückgezogen, zu dem ungelösten Trauma seiner Kindheit. Die Zeit heilt tatsächlich nicht alle Wunden. Stattdessen kann sie sie tiefer und lähmender machen. Aber wenn Adam den Moment, in dem seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, nicht umschreiben kann, kann er sie dank einer metaphysischen Eigenart als erwachsenen schwulen Mann kennenlernen und nicht als das verletzte und gemobbte Kind, an das sie sich erinnern. "Sie sagen, es ist ein sehr einsames Leben", sagt seine Mutter mit geschürzten Lippen, während sie ihre Vision von der Zukunft ihres Sohnes neu kalibriert, nachdem er sich ihr gegenüber geoutet hat. "Das sagt man eigentlich nicht mehr", faucht Adam, während er spricht, und ihm wird klar, dass Einsamkeit bisher die einzige Konstante in seinem Leben war.

Das exquisite, feinfühlige Drehbuch adaptierte Haigh aus "Strangers" (1987), einem Roman des japanischen Schriftstellers Taichi Yamada - der zweite Film, der auf dem Buch basierte; der erste war "The Discarnates" von Nobuhiko Obayashi aus dem Jahr 1988. Haigh hat der Geschichte seine eigene Note verliehen. Die Verwendung seines tatsächlichen Elternhauses als Schauplatz für die Szenen zwischen Adam und seinen Eltern unterstreicht offenbar die emotionale Verbindung zwischen dem Regisseur und dem Material. Beim Ansehen fällt einem am stärksten die erschütternde emotionale Wirkung des Films auf, und bald beginnt man, die makellose Kunstfertigkeit des Films voll zu würdigen. Die Art und Weise, wie die Filmmusik von Emilie Levienaise-Farrouch mit dem komplexen Einsatz von Ton harmoniert und ihn ergänzt; die Kunstfertigkeit von Jonathan Alberts‘ flüssigem Schnitt, der den Zuschauer mit den leichtesten Berührungen zwischen parallelen Zeitlinien und einer Stadtlandschaft führt, in der es von koexistierenden Momenten aus Adams Leben wimmelt. Es ist eine bemerkenswerte Leistung - ein rohes und kraftvolles Stück Erzählkunst, das einen am Herzen packt und nicht mehr loslässt.

9/10

Quellen:
Inhaltsangabe
: Disney+ / Fox Searchlight
Poster/ArtworkFox Searchlight

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