Dienstag, 11. Juni 2019

First Man - Aufbruch zum Mond (2018)

https://www.imdb.com/title/tt1213641/

Der Ingenieur Neil Armstrong (Ryan Gosling) arbeitet Anfang der 60er Jahre als Testpilot für Jets und Raketenflugzeuge und hat mit seiner Frau Janet (Claire Foy) und den beiden Kindern Rick (Gavin Warren) und Karen (Lucy Stafford) eine liebende Familie hinter sich, die ihm den Rücke stärkt. Sein ganzes Leben ändert sich jedoch, als seine Tochter an einem Gehirntumor stirbt und die Familie nach einer Veränderung sucht. Diese bietet sich, als die NASA für ein Mondprogramm auf der Suche nach Piloten mit Ingenieurswissen ist. Neil nutzt die Chance und zieht mit seiner Familie nach Houston, wo er eine Ausbildung zum Astronauten beginnt. Nach etlichen Strapazen und Testflügen kämpft sich der professionelle Ingenieur bis an die Spitze und wird bald gemeinsam mit Buzz Aldrin (Corey Stoll) und Michael Collins (Lukas Haas) mit der Apollo-11-Mission zum Mond geschickt...

Wer bei "First Man" einen actionlastigen Film erwartet, der kennt entweder (noch) nicht die Arbeiten von Damien Chazelle oder wurde von den Trailern fehlgeleitet. "First Man"/"Aufbruch zum Mond" ist ein anderes Biopic, eine Art Charakterstudie, ein Drama über einen Mann, den seine Mitmenschen stets als fokussiert und ruhig beschrieben. Und es ist ein Film über die unglaublich lange, von herben Rückschlägen und Verlusten begleitete Vorlaufzeit, die es benötigte, um überhaupt einen Menschen auf den erdnahen Trabanten zu bringen. "First Man" ist etwas ganz besonderes. Ein ruhiger, unaufgeregter Film, mit ausschlagartigen Action- und Spannungsmomenten, die vor allem durch die Perspektive beeindruckt.

“The day we stop exploring is the day we commit ourselves to live in a stagnant world, devoid of curiosity, empty of dreams.” - Neil deGrasse Tyson

Der kanadische Schauspieler Ryan Gosling passt aufgrund seiner Art und Spielweise perfekt in die Rolle des oft in sich gekehrten, nachdenklichen Neil Armstrong, der immer eine Lösung parat hat und der, von Schicksalsschlägen gezeichnet (er hatte drei Kinder, seine einzige Tochter starb im Alter von 2 Jahren an Krebs), zurückhaltend, emotional extrem kontrolliert im Hintergrund über Sachverhalte nachdenkt, während ein Edwin Eugene "Buzz" Aldrin, dargestellt von Corey Stoll, vorlaut das ausspricht, was alle denken. Zumindest behauptet er das mehrmals von sich. Auch entspricht das "Look-alike" der Darsteller ganz gut den dargestellten Personen und Chazelle legte darauf wohl besonderes Augenmerk. Andererseits Gosling nicht gänzlich, das Spezielle, die Ausnahmeperson Neil Armstrong packend darzustellen. Doch schon der Beginn von "First Man" ist anders. Man sieht Armstrong im Fokus, nur wenige Aufnahmen zeigen, was da gerade passiert, alles wackelt, ist laut und gleich bedrückend. Chazelle gelingt der Coup, dass sich der Zuschauer ganz in die Person des Raumfahrers, bzw. Fliegers in den engen, bedrückenden Kabinen hineinversetzen kann. Oft aus der Ego-Perspektive aufgenommen fängt die Kamera dann ein, was Armstrong selbst wahrnimmt und sieht, sodass der Zuschauer mit seinem Charakter in diesen wenigen Szenen verschmilzt.

Ein genialer Trick, der klaustrophobische Gefühle beim Zuschauer wecken kann - zumal auch der erste Schuss ins All, in der Gemini 8, rein aus dieser Sicht gezeigt wird - und man eigentlich gar nichts sieht. Nur hört. Man hört das Knarzen jeder Schraube und das ächzende Metall. Und dann ist da noch dieses kleine Fenster und der Spiegel, den Kollege David "Dave" Scott (gespielt von Christopher Abbott), angebracht hat, um spiegelverkehrt das Verlassen der Abschussrampe sehen zu können. Unwillkürlich ertappt man sich dabei, auch in diesen Spiegel schielen zu wollen und dabei ist dieser gar nicht so oft im Fokus der Kamera. Einen solch überwältigenden Eindruck von einem Raketenstart hat man bisher noch nicht vermittelt bekommen. Kameramann Linus Sandgren, der schon in "La La Land" mit Chazelle zusammenarbeitete leistet hier wirklich gute Arbeit und bietet dem Zuschauer eine völlig neue Erfahrung, was Ego-Perspektiven betrifft. Mit langgezogenen Takes und ruhigem Schnitt unterstreicht er damit auch die unaufgeregte Dramaturgie des Streifens. Justin Hurwitz' Komposition unterstützt das Werk akustisch und trägt viele Szenen. Ob anschwellend und hektisch oder leise und ruhig - Hurwitz findet in der Gesamtheit immer wieder die richtigen Töne, um die Szenerie stimmig zu untermalen. All dies rundet den Gesamteindruck ansprechend ab.


"First Man" setzt damit einer der größten technischen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte ein würdiges Denkmal. Nun mag man hin und wieder auf den berühmtesten aller Verfilmungen der NASA, "Apollo 13" zurückblicken und versuchen, parallelen zwischen ihm und "First Man" zu ziehen. Was die Action, die Spannung und das Flair betrifft, ist "Apollo 13" "First Man" haushoch überlegen. Doch stütz sich "First Man" gar nicht auf diese Qualitäten, seine Stärke liegt in der Dramaturgie und der Charakterzeichnung, der Szenerie und des Erlebnisses. Nie zuvor war man so dicht am Astronaut-sein dran wie hier, nie zuvor saß man gemeinsam mit Armstrong in der engen Kapsel der Gemini-8 und erst recht nicht an Bord der Apollo 11. Überzeugende Schauspielleistungen, ein erfrischend anderer Soundtrack für die Raumfahrtszenen und authentische Effektaufnahmen, welche anscheinend mit Original-Filmmaterial von 1969 ergänzt wurden, ergeben einen Film, der zeigt mit welchem Ehrgeiz die Pioniere der Raumfahrt ihr Ziel verfolgten und der dem Zuschauer die Faszination an der Raumfahrt näher bringt. Letztlich liegt es, wie so oft, am Zuschauer, ob er diese Reise wagen will. Wer knisternde Action und brachiale Szenen sehen will, der ist hier falsch. Wer Wert auf Atmosphäre, Dramaturgie legt und ein Faible für ruhige Filme mitbringt, der wird belohnt. Mit einem bildgewaltigen Werk, welches einfach eine technisch faszinierende Abenteuergeschichte mit wahrem Hintergrund zu erzählen hat. Und eine Geschichte über den Mann, der, beim finalen Sprung von der Leiter des Landers, die berühmten Worte sagte:

“That’s one small step for man… one… giant leap for mankind."

8,5/10

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