http://www.imdb.com/title/tt2382009/
Der zweite Teil umfasst nun die letzten dreieinhalb Kapitel von Lars von
Triers zweigeteilten Drama über die bewegte Lebensgeschichte der
Nymphomanin Joe (Charlotte Gainsbourg). Die seelisch und körperlich
verletzte Frau wird vom alternden Junggesellen Seligman (Stellen
Skarsgard) aufgenommen und gepflegt. Sie berichtet ihm in langen
Gesprächen davon, wie sie in ihrer langweiligen Beziehung zu Jerome
(Shia LaBeouf) verödete und plötzlich die Lust am Sex verlor. Aus der
Verzweiflung heraus suchte sie den Sado-Maso-Künstler K (Jamie Bell)
auf, um über den Schmerz zur Lust zurückzufinden, gleichzeitig
vernachlässigte Joe allerdings ihr Baby. Im Gespräch erfährt die
verzweifelte Frau indes auch einiges über ihren geheimnisvollen Retter
und dessen Geheimnis. Seligman ist nämlich asexuell; er hatte noch nie
Sex, was ihm eine ganz eigene Perspektive auf Joes Lebenswandel
ermöglicht...
Wesentlich ernster und kaum noch mit einem zwinkernden Auge oder gar zu verspielt knüpft "Nymphomaniac: Vol. II" an seinen Vorgänger an. Mir haben beide Teile sehr gut gefallen und ich bewerte sie auch
nahezu gleich, aber der hier besprochenen zweite Teil ist anders, allerdings nicht schlechter. Irritierend
fand ich nur die Umstellung der Schauspielerin (von Stacy Martin auf
Charlotte Gainsburg), was natürlich auch die schnelle Alterung (durch
den Stress etc.) Joes verdeutlich soll. "Nymphomaniac: Vol. II" fängt mit seiner
tiefgründigen Bandbreite da an, wo der erste Teil aufgehört hat und
umwebt sexuelle Neigungen mit geschichtlichen Hintergründen und dem
Dafürhalten großer Denker und Visionäre, sodass der Zuschauer darauf
vorbereitet ist, den emotionalen, großen Hintergrund in sich
aufzunehmen, um zu verstehen, was derjenige glauben und fühlen muss, dem
eine solche Last der Nymphomanie auferlegt wird, dazu verbannt sich von
der Gesellschaft abzustoßen, um mit sich selbst ins Gleichgewicht zu
kommen oder eben im Strom mitzuschwimmen, dafür dann aber nicht sein
"Ich" ausleben zu können.
Die untypische Herangehendsweise des Films an Themen wie die
Tabuisierung von Worten oder Pädophilie hat mir gefallen, da es - in gewisser Weise - ein wohlüberlegte Meinung wiederspiegelt.
Und dann war da natürlich noch die letzte Szene. Die Szene, die den
Zuschauer einfach ein paar Sekunden regungslos dasitzen lässt. Es
scheint, als hätte Joe einen selbst
erschossen.
Aber es spiegelt die Bürde einer (schönen) Frau wieder: sie möchte nur ihr
Herz ausschütten, und den Zuschauer/Zuhörer an ihrem Leben teilhaben lassen und er sieht sie als (übertrieben gesprochen) Sexsymbol. Man weiß nicht genau, wann sich des Antagonisten asexuelles Wesen zu dem Monster gewandelt hat, das man gegen
Ende sieht und natürlich handelt Joe naiv in dem Moment als sie zu einem
Fremden nach Hause geht und ihm ihre Lebensgeschichte erzählt. Aber andererseits auch nachvollziehbar, kennt man das gesamte Konstrukt: Joe hat
nur einen Freund gesucht, nicht mehr. Sie wollte jemanden in ihrem
Leben, der ihr ernsthaft zuhört. Ja, einige der Szenen das Films scheinen tatsächlich übertrieben, allerdings schließen
sie nicht die Möglichkeit aus, dass so etwas passieren könnte und auf mich wirkte der Film
an keiner Stelle unrealistisch.
Lars von Trier spielt mal wieder mit der Erwartungshaltung des
Zuschauers, wirft dessen Gefühle über den Haufen, manipuliert,
schockiert, beleuchtet aus vielen Perspektiven und erweitert
Blickwinkel, um dann letzten Endes alles wieder in sich zusammenstürzen
zu lassen, wie ein mühselig aufgebautes Kartenhaus, bei dem auf
jeder Karte ein intelligenter Satz steht. Ein Satz, den man in sich
aufgesogen hat, der aber in der Tragik, die er einem hier wie Blei in
den Magen gießt, ganz schnell wieder vergessen werden möchte.
Das macht von Trier wie immer in einer
solch unkonventionell hochtrabenden Art, dass ich nicht wirklich weiß, ob ich ihn dafür loben oder schelten soll. Ist das Pseudo-Genialität? Denn ob man seine Filme nun mag oder nicht, von Trier gelingt es jedenfalls (und hier erneut), eine ganze Riege
Hollywoodstars für seine fast schon dunkel wirkenden Machenschaften zu
missbrauchen und er hebt sich selber von neuem auf eine höhere Stufe der
Unberührbarkeit, als Thronsitz des scharfsinnigen dänischen Kinos. Das Gesamtwerk "Nymphomaniac" ist sicher ein
Film, der sich unter Umständen wie ein Geschwür in der Magengegend des
Zuschauers einnistet, dort für ziemliche Bauchschmerzen sorgt und
außerdem mit seinem Ende blanke Fassungslosigkeit walten lässt.
Fassungslosigkeit, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Ob man
das schön finden soll oder nicht; wer weiß. Aber er polarisiert sicher ungemein.
8,5/10
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