Für die einen ist er ein Chronist des Straßenlebens, für die anderen ein Gangster-Rapper. Obwohl in Schlagzeilen immer wieder Ausschnitte seiner Biografie auftauchen, bleibt das Bild bruchstückhaft: Wer steckt hinter Aykut Anhan, besser bekannt als Haftbefehl? Als er 2010 in die deutsche Rapszene eintrat, hinterließ er deutliche Spuren. Viele junge Menschen sahen in ihm eine Identifikationsfigur, während er mit dem Studioalbum Russisch Roulette im Jahr 2014 auch die Aufmerksamkeit des Feuilletons auf sich zog. Die Regisseure Juan Moreno und Sinan Sevinç führen durch die Welt von Aykut Anhan, dem Menschen hinter der Kunstfigur Haftbefehl. Sie beleuchten den Weg zum Erfolg, öffnen den Blick auf die glitzernde Oberfläche des Musikgeschäfts und entwerfen zugleich das Bild eines Mannes, der mit den Schatten seiner Vergangenheit und Gegenwart ringt.
Der Netflix-Film "Babo - Die Haftbefehl-Story" ist eine radikal ehrliche und tiefgründige Dokumentation über den deutschen Gangster-Rapper Aykut Anhan, bekannt als Haftbefehl. Regisseur Juan Moreno, der 2018 Claas Relotius als Fälscher enttarnte, und Co-Regisseur Sinan Sevinç tauchten mit der Kamera zwei Jahre lang in das Leben des Künstlers ein und zeigen nicht nur seinen musikalischen Erfolg, sondern auch den dramatischen Absturz durch Drogenabhängigkeit und psychische Erkrankungen. Der Film verzichtet auf Beschönigungen und bietet stattdessen schonungslose Einblicke in die Schattenseiten des Ruhms, mit besonders eindrücklichen Momenten wie Nachstellungen eines Suizidversuchs und der körperlichen und seelischen Zerstörung durch Kokainkonsum. Diese Szenen berühren einen bis ins Mark.
Die Stärke der Dokumentation liegt in ihrer Mischung aus intimen persönlichen Interviews, Aufnahmen von Konzerten und dem realen Alltag in Anphans Umfeld. Die Zuschauer erleben, wie Haftbefehl sich im Musikgeschäft an die Spitze gearbeitet hat, aber auch wie der Verlust seines Vaters und die belastende Kindheit im migrantischen Milieu ihn geprägt haben. Die dokumentarische Erzählung zeigt, wie seine Familie durch seine Sucht zerbricht, während sein Bruder Capo stellvertretend für die Liebe und das Festhalten an ihm steht. Dabei vermeidet der Film eine übermäßige Einordnung oder den Einsatz von Expertenmeinungen, die Suchterkrankungen erklären könnten, was einerseits dem authentischen Confessional-Stil dient, andererseits aber auch kritisiert wird, weil der soziokulturelle Kontext von Haftbefehls Herkunft kaum beleuchtet wird.
Technisch überzeugt "Babo - Die Haftbefehl-Story" durch eine kontrastreiche Bildsprache, die zwischen den energiegeladenen Konzertsequenzen und den stillen, fast lähmenden Momenten des Drogenabsturzes wechselt. Die Kamera bleibt nah an der Hauptfigur und zeigt die Zerbrechlichkeit hinter dem selbstbewussten Image des Rappers. Musikalisch und sprachlich spiegelt sich die Verschmelzung verschiedener kultureller Einflüsse wider, die Haftbefehl zu einem prägnanten Vertreter des deutschen Straßenraps machen. Die Filmgestaltung setzt bewusst auf dramatische Musik verlässt sich aber dann doch eher auf natürliche Geräusche und authentische Atmosphäre, was den dokumentarischen Charakter unterstreicht. Inhaltlich ist der Film eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den Folgen von Ruhm, Abhängigkeit und dem Kampf mit inneren Dämonen. Er zeigt dabei nicht nur den Menschen Haftbefehl, sondern auch die Co-Abhängigkeit seiner Familie und Ehefrau, die mit der toxischen Dynamik ringen. Die Dokumentation funktioniert auch als Aufklärung über Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen, sie hinterlässt beim Zuschauer ein erschütterndes Bild von der lebenslangen Belastung trotz Therapie und Unterstützung. Eine der krassesten Szenen ist die Übernahme der Kamera durch Aykut Anhan am Ende der Doku. Ungeschönt. Abstoßend. Und zutiefst erschütternd und traurig."Babo - Die Haftbefehl-Story" ist ein überaus tiefes, beeindruckendes, aber auch schweres Filmwerk, das weit über eine reine Musikerbiografie hinausgeht. Man erwartet einfach nicht, dass man so einen Film serviert bekommt. Nicht in diesem Bereich, nicht mit einem Künstler. Es fordert vom Betrachter Offenheit für tiefe Einblicke in eine gebrochene Seele und ein schwieriges soziales Umfeld. Als eine der ehrlichsten Hip-Hop-Dokumentationen im deutschen Raum hinterlässt sie sowohl Mitgefühl als auch ein kritisches Nachdenken über gesellschaftliche Zusammenhänge und persönliche Verantwortung. Für Fans von authentischen, ungefilterten Porträts und für alle, die sich für die komplexen Hintergründe von Künstlerbiografien interessieren, ist dieser Film ein absolutes Muss. Ganz egal, ob man etwas für Deutsch-Rap übrig hat oder nicht.


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