Mittwoch, 4. Mai 2022

[KINO] Doctor Strange In The Multiverse Of Madness (2022)

https://www.imdb.com/title/tt9419884/

Der mächtige Magier Dr. Strange (Benedict Cumberbatch) öffnet die Portale zu verschiedenen Universen, die die Gegenwart aus dem Gleichgewicht bringen. Der entstandene Schaden weitet sich mit jeder verstreichenden Minute mehr aus und stürzt die Welt in ein unheilvolles Chaos. Zusammen mit seinen Freunden Wong (Benedict Wong) und der Hexe Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen) muss er versuchen, die geöffneten Portale so schnell wie möglich zu schließen. Doch die Gottheit Shuma-Gorath hat sich bereits ein Schlupfloch gesucht und dringt in die Gegenwart ein. Zudem muss Strange in den alternativen Realitäten nach einem Ausweg suchen, seine eigenen Dämonen in Zaum zu halten. Es scheint unmöglich zu sein, die ineinander verwobenen Universen wieder zu trennen. Dr. Strange hat keine andere Chance, als sich dem Unbekannten zu stellen und die Welt vor der bösen Magie Shuma-Goraths zu beschützen...

Das Marvel Cinematic Universe ist nunmehr seit 14 Jahren ein geschäftiger Ort. Mit seinen sich kreuzenden Fortsetzungen, Figuren, Superhelden und Schurken, die in die Filme der anderen hinein- und wieder herausspringen, und einem Labyrinth aus Gimmicks, Cameos und Ikonen, sowie weit entfernten (irdischen und außerirdischen) Schauplätzen ist es zu einem metastatischen Spielplatz geworden, auf dem sich selbst die leidenschaftlichsten Comic-Fans anstrengen müssen, um mitzuhalten. Wenn man jetzt zu denjenigen Zuschauern gehört, dem das alles noch nicht zu sehr aus dem Ruder läuft, dann bekommt man mit dem neuesten Ableger "Doctor Strange In The Multiverse Of Madness" etwas, was einen wirklich fordert. Bereits der letztjährige Mega-Hit "Spider-Man: No Way Home" war eine grandiose Multiversum-Fantasie, die sich wie ein Zauberwürfel anfühlte. Wenn man jedoch die Drehungen der Handlung ignorierte (die auch noch durch Doctor Strange ausgelöst wurden), konnte man sich zurücklehnen und den Film als glorifizierten Sketch mit allen drei Schauspielern genießen, die jemals den Spider-Man in großen Filmproduktionen gespielt hatten.

Jetzt kommt "Doctor Strange In The Multiverse Of Madness", ein ganzer Film über die Schnittstelle von Paralleluniversen. Auf dem Regiestuhl nahm hier Sam Raimi Platz, ein Regisseur, der schon mit "Tanz der Teufel" in den achtziger Jahren Filmgeschichte schrieb und der mit weiteren Projekten, unter anderem den "Spider-Man"-Filmen mit Tobey Maguire reichlich Erfahrung mit Superhelden hat -  hier mit seinem ersten Film seit neun Jahren. Und vielleicht wäre dieser Film in diesem Universum der letzte Superheldenfilm, der das schnell alternde Handlungselement verwendet, in dem unendlich viele parallele Dimensionen jede Version der Realität enthalten, die man sich vorstellen kann, und viele, die man sich nicht vorstellen kann. Das Multiversum ist eine faszinierende Idee, über die man träumen kann - und zusammen mit der Simulationstheorie auf dem besten Weg, so etwas wie eine agnostische, nihilismusfreundliche neue Religion zu werden.


Reichlich Erfahrung hat auch der titelgebende Doctor Strange, erneut wunderbar gespielt von einem gut gelaunten Benedict Cumberbatch, wenn es darum geht, ganze Welten vor den weit aufgerissenen Augen der Zuschauer zu verbiegen und zu kaleidoskopieren. Doch was Strange mit der physischen Welt macht, macht "Doctor Strange In The Multiverse Of Madness" mit dem Geschichtenerzählen. Es ist ein Film, der in mehreren Universen gleichzeitig spielt und immer wieder in immer verrücktere Dimensionen der alternativen Realität abdriftet. Die Geschichte entwickelt sich nicht, sondern vervielfältigt sich. Und dadurch vervielfältigt sich auch der Spaß - auch wenn alles ein wenig überhastet und schnell wirkt. "Doctor Strange In The Multiverse Of Madness" ist ein Ritt, ein wahrlich wahnsinniger Trip, ein CGI-Horror-Spektakel, ein Marvel-Mysterium über das, was Realität ist, und in manchen Momenten auch visuell anstrengend - was aber hervorragend zur Geschichte passt. Es ist ein durchweg fesselndes Durcheinander und in vielen Szenen blitzt Raimis Handschrift durch, auch wenn er auf viele handgemachte Effekte zugunsten der hier weitaus stimmigeren CGI verzichten musste.

Gleich zu Beginn gibt es ein wenig guten, altmodischen Comic-Action-Overkill und gleich darauf noch einen, als Strange der Hochzeit von Christine Palmer (Rachel McAdams) beiwohnt, der Kollegin, der er immer nachtrauert, seitdem er selbst sie verlassen hat. Ein wütendes Monster mit Krakententakeln, das aussieht wie aus den "Guardians Of The Galaxy"-Filmen, Gargantos, schleudert Fahrzeuge hin und her. Strange, der vom stoischen Sorcerer Supreme Wong (Benedict Wong) unterstützt wird, hat wenig Mühe, diese wandelnde Kreatur zu Fall zu bringen, aber das Monster ist nur ein Bote. Es wurde geschickt, um America Chavez (Xochitl Gomez) zu fangen, eine Teenagerin, die die einzigartige Fähigkeit besitzt, zwischen den Universen hin und her zu springen. Und hier könnte man als geneigter Fan bereits auf die Idee kommen, dass die Schöpfer des MCU, Kevin Feige und sein Team aus Drehbuchautoren, Regisseuren und Schauspielern, einen weitaus größeren Plan verfolgen, nämlich alles, was das MCU zu bieten hat, zu vereinen.

Chavez' einzige Gabe ist eine transzendente Fähigkeit und es ist eine Macht, die von Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen), auch bekannt als die Scarlet Witch, begehrt wird, die in mehreren MCU-Filmen, wie "Captain America: Civil War" und "Avengers: Age Of Ultron" zwischen Gut und Böse wechselt. Jetzt, nach der Miniserie "WandaVision" aus dem Jahr 2021, ist sie zur nachvollziehbaren Antagonistin geworden, die auch aufgrund ihres tief sitzenden Schmerzes wegen der Geschehnisse in "Avengers: Infinity War" Welten zerstören würde, um die Person zu werden, die sie war und immer noch am liebsten sein möchte: eine Mutter.

Der Zuschauer sieht eine der Versionen von Wanda im Multiversum, in der sie eine alleinerziehende Mutter von zwei süßen Jungen ist. Das ist die Identität, die sie begehrt. Aber sie braucht eben die Kraft des multiversalen Springens, um damit zu verschmelzen. Und Doctor Strange, der jetzt in seiner Rolle als Retter mit rotem Umhang voll und ganz zu Hause ist, kann ihr diese Kraft nicht überlassen, denn er fürchtet, sie würde das gesamte Multiversum zerstören. Nachdem er seinen jungen Schützling nach Kamar-Taj gebracht hat, das sich als gescheiterte Festung entpuppt, nachdem Wanda die verteidigende Armee von Kriegermönchen dezimiert hat (mit anderen Worten: ihre goldenen Lichtkreise erweisen sich als weniger mächtig als ihre roten Feuerkugeln), fliehen Strange und Chavez in ein anderes Universum - ein New York City, in dem die Gebäude mit blumigen Ranken überwuchert sind, eine rote Ampel "Los" und eine grüne Ampel "Stopp" bedeutet. Hier sollte man zwingend auch die Serie "What If...?" gesehen haben, um die weiteren Geschehnisse überhaupt einordnen zu können - nötig ist es jedoch nicht, um Spaß zu haben. Und doch wäre es zu viel verraten, wenn man die darauffolgenden Ereignisse an dieser Stelle beschreiben würde. Es soll dennoch möglichst spoilerfrei versucht werden.


Strange und Chavez werden bald in riesigen Plastik-Würfeln gefangen, die von einen weiteren Christine Palmer beaufsichtigt werden, die in diesem Universum eine brillante Multiversumsforscherin ist. Es ist eine etwas andere Christine, die eine Beziehung mit einem etwas anderen Stephen Strange hatte, aber sie sind immer noch Variationen derselben Personen, was den Zuschauer vielleicht dazu bringt, sich zu fragen: Wie kann es sein, dass jeder in einem Universum nur eine etwas andere Version dessen ist, was er in einem anderen Universum ist? Bricht das nicht die grundlegende Idee, dass ein einziges Detail die Fähigkeit hat, riesige Ereignisketten aus der Bahn zu werfen? (Was wäre, wenn X nicht Y geheiratet hätte?) Wenn "Doctor Strange In The Multiverse Of Madness" irgendetwas beweist, dann, dass Multiversum-Filme noch weniger logisch sind als Zeitreise-Filme - was sich wie Erbsenzählerei anhört, aber wenn man einen ganzen Film um dieses Thema herum aufbaut, beginnt die fadenscheinige Logik, sich zu einem Chaos auszuweiten. Es stellt sich heraus, dass die alternativen Versionen der Charaktere ihre Anziehungskraft größtenteils zunichte machen - ein wichtiges Beispiel dafür ist Chiwetel Ejiofors Charakter Mordo.

Es ist vollkommen amüsant zu sehen, wie Raimi die Illuminaten als eine Art Superheldenteam mit verdrehter Realität darstellt oder ein Duell mit buchstäblichen Musiknoten inszeniert (eine Szene, in der Danny Elfmans "Night On Bald Mountain" meets "Doom"-Score brilliert). Olsens Darbietung entfacht ein opernhaftes Feuer, auch wenn sie in einer Sequenz wie eine barfuß gehende, in Carrie Whites Blut-getränkte Mutter gestylt ist. Aber Cumberbatchs Doctor Strange spielt den süchtigen Zeremonienmeister in einem psychedelischen Verfolgungsjagdfilm, der sich nie genug beruhigt, um seinen emotionalen Kern zu finden. Von den verschiedenen Ideen, die in Michael Waldrons Drehbuch oft genug auftauchen, um als Themen identifiziert zu werden, ist diese die überzeugendste: Strange war von Anfang an ein arroganter Retter von Untergebenen, ein Tony Stark ohne die Frauenfeindlichkeit und die makellose Garderobe. Raimi hat eine wahnsinnige, herrlich verrückt-morbide Seite, die spätestens dann zum Vorschein kommt, wenn sich einer der drei anwesenden Stephen Stranges als verrottender Zombie-Strange entpuppt, der von wilden Dämonen begleitet wird, die nur ein Sam Raimi erdenken kann.


Selbst wenn man Raimi mag, fühlt sich das ein wenig unpassend an in einem Film, der manchmal droht, zu einer stoischen Abarbeitung über die Einsatzregeln des MCU zu werden. Doch er ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was herauskommen kann, wenn das federführende Studio dem Regisseur die Zügel in die Hand legt und nicht an allen Ecken und Enden selbst herummäkelt. Obwohl der Film nie so düster und unheimlich ist, wie sein Titel verspricht, beginnt "Doctor Strange In The Multiverse Of Madness", Raimis Stärken besser auszuspielen - er ist lockerer, kinetischer und gelegentlich albern, obwohl viel auf dem Spiel steht - und er hat einige Visionen zu bieten, die sich in den Köpfen der Zuschauer festsetzen könnten, selbst wenn sie schon angefangen haben, Trailer für Geschichten zu verschlingen, die in Wakanda, Asgard und dem Quantenreich spielen.

In letzter Zeit wurde viel darüber gesprochen, dass Raimi zu "Spider-Man" zurückkehren könnte, was sicher lustig wäre. Aber die Geheimnisse der geheimnisvollen Welt von Stephen Strange wurden bisher kaum angezapft, und die Figur scheint bereit für die Art von Linkskurve, die Thor nahm, als Taika Waititi die Zügel in die Hand nahm. Die Trägheit von Marvel deutet immer auf galaktische Bedrohungen und eine Anhäufung von Helden mit Superkräften hin - doch die Regisseure machen etwas daraus. Es macht Spaß, sich vorzustellen, wie sie Raimi einen kleinen Teil des üblichen Budgets geben, ein R-Rating für den dritten Doctor Strange genehmigen und sagen: "Mach mal einen saftigeren, einen Sam-Raimi-Horrorfilm."

8,5/10

Quellen:
Inhaltsangabe: Marvel / Disney+

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen