Dienstag, 31. Mai 2022

Gone With The Wind - Vom Winde verweht (1939)

https://www.imdb.com/title/tt0031381/

Es ist ein schier endloses Zu-Spät-Kommen. Fast alle in diesem klassischen Film kommen zu spät. Nur eine nicht, eine unscheinbare, stille, friedliche Frau namens Melanie Hamilton (Olivia de Havilland), verheiratete Wilkes. Sie kommt nie zu spät. Sie ist immer da, immer anwesend, und nur sie weiß, was vor, während und nach dem Bürgerkrieg die anderen treibt, weg treibt, fort, nicht nur in den Krieg, sondern auch und vor allem fort von sich selbst. Diese Frau Melanie Wilkes verlangt nichts, erhebt keine Ansprüche, ist zufrieden mit dem, was sie hat.

Dass "Vom Winde verweht" ein zutiefst rassistisches und geschichtsrevisionistisches Werk ist, steht außer Frage. Der Film verhamlost die Sklaverei, romantisiert das Plantagensystem der Südstaaten als fast schon biblisches Paradies, reduziert sämtliche schwarzen Figuren auf rassistische Stereotype, stellt die Nordstaaten als einfallende Barbaren dar und erhebt die Hauptfiguren (beinahe alle wohlhabende weiße Plantagenbesitzer und deren Angehörige sowie weitere Profiteure der Sklaverei) zu den letzten edlen und tugendhaften Figuren der Weltgeschichte. Das Ganze ist aus heutiger Perspektive natürlich völlig haarsträubend und regelrecht menschenverachtend. Ebenso schwer stößt auf, dass auch der Film selbst in einem zutiefst rassistischen System entstand; die racial segregation der Jim-Crow-Laws war auch Filmset selbstverständlich und allgegenwärtig.

Dennoch lässt sich auch nicht bestreiten, dass der Film große Qualitäten hat. Er ist gut geschrieben, hervorragend geschauspielert, präsentiert absolut überragende Bilder, für seine Zeit fantastische visuelle Effekte und sehr stimmige Musik von Max Steiner. Es fällt nicht schwer zu verstehen, warum er immer wieder Generationen von Zuschauern fasziniert, trotz (bei einer Minderheit vielleicht aber auch wegen) seines prekären Weltbilds. Wie ist also umzugehen mit einem Kunstwerk, dass derart kontrovers ist wie "Vom Winde verweht"?

Es aus dem Diskurs zu verbannen ist natürlich Unsinn. Zu einer aufgeklärten und reflektierten Auseinandersetzung mit der Geschichte gehört auch die Kompetenz Spannungsfelder mit kritischem Blick zu untersuchen, die Reibungspunkte dieser Spannungsfelder aber auch auszuhalten. Ein Verschließen der Augen vor den Fehlern der Vergangenheit kann nicht funktionieren. Es ist möglich, die inhaltlichen Aussagen eines Kunstwerks abzulehnen oder sogar zu verachten, die Qualität des Kunsthandwerks aber trotzdem würdigen zu wissen.

Letztendlich ist es nämlich auch ein Zeichen für große Kunst, dass sie in der Auseinandersetzung mit ihr verschiedene Deutungen zulässt. Während Autor und Regie vorgesehen haben dürften, dass die Zuschauerschaft mit Sehnsucht in die Vergangenheit blickt und mit den tragischen Schicksalen seiner Hauptfiguren mitfühlt, ist es völlig problemlos möglich, heute nichts als Schadenfreude und Häme zu empfinden, wenn die Plantagen - und damit die Lebensgrundlage - der Unterdrücker brennen und ihnen das glückliche Leben eben so verwehrt bleibt, wie all den Menschen, die sie in Gefangenschaft gezwungen haben. Letztendlich ist die überprivilegierte, egomanische, manipulative und bis zum bitteren Ende uneinsichtige Scarlett O'Hara mit ihrem selbstverschuldet verpfuschtem Leben auch eine treffende Metapher für die historische Zeit und deren Protagonisten, die der Film abbilden möchte.

In diesem Perspektivenwechsel ist "Vom Winde verweht" doch irgendwo ein zeitloses Meisterwerk, wenn auch eines, das wehtut.

8,5/10

Quellen
Inhaltsangabe: MGM / Warner Bros.

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