Sonntag, 21. Oktober 2018

Der Hauptmann (2017)

https://www.imdb.com/title/tt6763252/

1945, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, irgendwo im deutschen Niemandsland: Der Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) wird von dem gnadenlosen Hauptmann Junker (Alexander Fehling), der ihn für einen Deserteur hält, erbarmungslos gejagt. Doch kurz vor seinem erwarteten Tod entdeckt Willi in einem Auto am Straßenrand eine mit Orden versehene Hauptmannsuniform der Luftwaffe, die er kurzerhand überstreift. Mit der Uniform schlüpft er schnell auch in die dazugehörige Rolle und beginnt, verstreute Soldaten um sich zu scharen, darunter Freytag (Milan Peschel) und Kipinski (Frederick Lau). Willi testet seine neu gewonnene Verfügungsgewalt aus. Seine ehemaligen Kameraden sind froh, einen vermeintlichen Befehlshaber gefunden zu haben, der ihnen sagt, was sie tun sollen, doch Herold verfällt schon bald der Versuchung der Macht...

Regisseur Robert Schwentke kehrt nach dreizehn Jahren aus Hollywood nach Europa zurück, um mit "Der Hauptmann" eine wahre Geschichte aus den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive von Tätern aus der vierten oder fünften Reihe zu erzählen. Der Film kann als beklemmende, historische Satire angesehen werden, die den Zuschauer nach der noch einigermaßen lockeren Köpenickiade zu Beginn immer tiefer in die Abgründe der Bestie Mensch führt. Die Schwarz-Weiß-Bilder von Kameramann Florian Ballhaus tragen dabei maßgeblich zum Gefühl eines permanenten Unwohlseins bei. Bitterböse überzeichnet serviert Schwentke den finalen Wahnsinn des Krieges aller Kriege am Beispiel eines fahnenflüchtigen Gefreiten, der sich zuerst aus der Not heraus als Hauptmann ausgibt und dann aus dieser Not eine übelste Untugend macht. Das ist stellenweise harter Tobak und nichts für zartbesaitete Seelen, die immer noch an einen winzigen Rest Anstand in jedem Menschen glauben. Der Gefreite wird zum Hauptmann, weil alle glauben, dass er ein Hauptmann ist. Der Faschismus ist Form-bezogen. Aber er wird auch zum Hauptmann, weil alle einen Hauptmann brauchen. In diesen chaotischen Zeiten, kurz vor Kriegsende, verloren im lebensfeindlichen Niemandsland mit vorrückendem Feind, ist die Sehnsucht nach Autorität, nach einer Person die Entscheidungen fällen kann, auf die man die eigen Verantwortung nach oben abdeligieren kann sehr groß. Und der Hauptmann gibt ihnen was sie brauchen: Hierarchie Ordnung, Gesetze, Führertum. Dabei entlarvt der Film ebenjene Gesetze als leere Konstruktion, weil der Hauptmann eben nur ein einfacher Gefreiter ist. Die Autorität ist ein Trugschluss, genauso wie das ganze System, das nur funktioniert, weil wir daran glauben, dass das System da ist, dass es funktioniert, dass es keine Alternative dazu gibt.

Auf Darstellerseite versteht es Max Hubacher vorzüglich, die Angst, Gerissenheit, Kälte, den Selbsterhaltungstrieb, Sadismus und das herrische Auftreten der von ihm gespielten Titelfigur Willi Herold herauszuarbeiten. Neben ihm ist besonders Frederick Lau als sadistischer Soldat Kipinski für seine Leistung zu loben. Der Film zeigt in teils drastischen Bildern, wie blinder Obrigkeitsgehorsam, Angst und ein durch Indoktrination vernebelter Geist den Menschen seine Menschlichkeit verlieren lassen und dass das dadurch entstehende System sich leicht verselbstständigen und verfestigen kann. Die Idee des "guten Nazis" verschwindet vollkommen, begraben unter Matsch, Blutlachen und Leichenhaufen. Letztendlich wird auch keiner Figur Gnade geschenkt, weil keine Figur Gnade hat walten lassen. Die ästetische Konzeption von Schwarz-Weiß hier erinnert stark an die Filme von Béla Tarr. Nicht nur eine von Gott, sondern auch eine von Farben verlassene Welt. Somit stimmen die Brutalität der Handlung und die Härte der Bilder überein.

Besonders das Ende verdeutlicht, dass wir es hier mit Themen zu tun haben, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben und dass wir Menschen zu keiner Zeit sicher vor uns selbst sein können - auch außerhalb des Kriegswahnsinns. In dieser Hinsicht ist der Film Erinnerung und Mahnung zugleich. Da es nicht häufig wirklich gute deutsche Filme gibt, sollte man sich diesen auf jeden Fall anschauen und etwaige Vorurteile beiseite schieben, denn "Der Hauptmann" gehört eindeutig zu den besten deutschen Filmen der letzten Jahre. Exzellente Schauspieler, kontrastreiche Schwarz/Weiß-Bilder, untermalt mit düsteren Klängen bilden einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. "Der Hauptmann" - ein radikales, hartes und vor allem mutiges Stück deutsches Kino. Bitte mehr davon!

8/10

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