https://www.imdb.com/title/tt6763252/
1945, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, irgendwo im deutschen
Niemandsland: Der Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) wird von dem
gnadenlosen Hauptmann Junker (Alexander Fehling), der ihn für einen
Deserteur hält, erbarmungslos gejagt. Doch kurz vor seinem erwarteten
Tod entdeckt Willi in einem Auto am Straßenrand eine mit Orden versehene
Hauptmannsuniform der Luftwaffe, die er kurzerhand überstreift. Mit der
Uniform schlüpft er schnell auch in die dazugehörige Rolle und beginnt,
verstreute Soldaten um sich zu scharen, darunter Freytag (Milan
Peschel) und Kipinski (Frederick Lau). Willi testet seine neu gewonnene
Verfügungsgewalt aus. Seine ehemaligen Kameraden sind froh, einen
vermeintlichen Befehlshaber gefunden zu haben, der ihnen sagt, was sie
tun sollen, doch Herold verfällt schon bald der Versuchung der Macht...
Regisseur Robert Schwentke kehrt nach dreizehn Jahren aus Hollywood
nach Europa zurück, um mit "Der Hauptmann" eine wahre Geschichte aus den letzten Wochen
des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive von Tätern aus der vierten
oder fünften Reihe zu erzählen. Der Film kann als beklemmende,
historische Satire angesehen werden, die den Zuschauer nach der noch einigermaßen
lockeren Köpenickiade zu Beginn immer tiefer in die Abgründe der Bestie
Mensch führt. Die Schwarz-Weiß-Bilder von Kameramann Florian Ballhaus
tragen dabei maßgeblich zum Gefühl eines permanenten Unwohlseins bei. Bitterböse überzeichnet serviert Schwentke den finalen Wahnsinn des
Krieges aller Kriege am Beispiel eines fahnenflüchtigen Gefreiten, der
sich zuerst aus der Not heraus als Hauptmann ausgibt und dann aus dieser
Not eine übelste Untugend macht. Das ist stellenweise harter Tobak und
nichts für zartbesaitete Seelen, die immer noch an einen winzigen Rest
Anstand in jedem Menschen glauben. Der Gefreite wird zum Hauptmann, weil alle glauben, dass er ein Hauptmann ist. Der Faschismus ist Form-bezogen. Aber er wird auch zum Hauptmann, weil
alle einen Hauptmann brauchen. In diesen chaotischen Zeiten, kurz vor
Kriegsende, verloren im lebensfeindlichen Niemandsland mit vorrückendem
Feind, ist die Sehnsucht nach Autorität, nach einer Person die
Entscheidungen fällen kann, auf die man die eigen Verantwortung nach
oben abdeligieren kann sehr groß.
Und der Hauptmann gibt ihnen was sie brauchen: Hierarchie Ordnung, Gesetze, Führertum. Dabei entlarvt der Film ebenjene Gesetze als leere Konstruktion, weil
der Hauptmann eben nur ein einfacher Gefreiter ist. Die Autorität ist
ein Trugschluss, genauso wie das ganze System, das nur funktioniert,
weil wir daran glauben, dass das System da ist, dass es funktioniert,
dass es keine Alternative dazu gibt.
Auf Darstellerseite versteht es Max Hubacher vorzüglich, die Angst,
Gerissenheit, Kälte, den Selbsterhaltungstrieb, Sadismus und das
herrische Auftreten der von ihm gespielten Titelfigur Willi Herold
herauszuarbeiten. Neben ihm ist besonders Frederick Lau als sadistischer
Soldat Kipinski für seine Leistung zu loben. Der Film zeigt in teils drastischen Bildern, wie blinder
Obrigkeitsgehorsam, Angst und ein durch Indoktrination vernebelter Geist
den Menschen seine Menschlichkeit verlieren lassen und dass das dadurch
entstehende System sich leicht verselbstständigen und verfestigen kann. Die Idee des "guten Nazis" verschwindet vollkommen, begraben unter
Matsch, Blutlachen und Leichenhaufen. Letztendlich wird auch keiner
Figur Gnade geschenkt, weil keine Figur Gnade hat walten lassen. Die ästetische Konzeption von Schwarz-Weiß hier erinnert stark an die
Filme von Béla Tarr. Nicht nur eine von Gott, sondern auch eine von
Farben verlassene Welt. Somit stimmen die Brutalität der Handlung und
die Härte der Bilder überein.
Besonders das Ende verdeutlicht, dass wir es hier mit Themen zu tun
haben, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben und dass wir
Menschen zu keiner Zeit sicher vor uns selbst sein können - auch
außerhalb des Kriegswahnsinns. In dieser Hinsicht ist der Film
Erinnerung und Mahnung zugleich.
Da es nicht häufig wirklich gute deutsche Filme
gibt, sollte man sich diesen auf jeden Fall anschauen und etwaige
Vorurteile beiseite schieben, denn "Der Hauptmann" gehört eindeutig zu
den besten deutschen Filmen der letzten Jahre. Exzellente Schauspieler, kontrastreiche Schwarz/Weiß-Bilder, untermalt
mit düsteren Klängen bilden einen Sog, dem man sich nicht entziehen
kann. "Der Hauptmann" - ein radikales, hartes und vor allem mutiges Stück deutsches Kino. Bitte mehr davon!
8/10
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