Donnerstag, 18. Dezember 2025

Avatar: Fire And Ash (2025)

https://www.imdb.com/de/title/tt1757678/

Die Sullys finde weiterhin Unterschlupf beim Clan der Metkayina an der Küste Pandoras. Dennoch tun sie sich schwer, zu einer Art Normalität zu finden, denn der Tod von Neteyam (Jamie Flatters) während des Kampfes gegen die Resources Development Administration (RDA) der Menschen wiegt immer noch schwer. Jake (Sam Worthington), Neytiri (Zoe Saldaña), Lo’ak (Britain Dalton), Tuk (Trinity Jo-Li Bliss), Spider (Jack Champion) und Kiri (Sigourney Weaver) müssen alle ihren eigenen Weg finden, mit diesem bitteren Verlust umzugehen. Schließlich entscheiden die Sullys, dass es vor allem für Spider an diesem Ort nicht mehr sicher genug ist. Er soll zurück in die Festung der Omatikaya gebracht werden. Doch auf dem Weg dahin werden sie vom Mangkwan-Clan, dem Volk der Asche, angegriffen. Der Clan hat sich von der Lebensweise der Na'vi abgekehrt, seit ein Vulkanausbruch ihre Heimat in Schutt und Asche gelegt hat. Und auch die RDA hat noch nicht das letzte Wort gesprochen...

Der dritte Teil der "Avatar"-Saga von James Cameron, "Avatar: Fire & Ash", ist ein Triumph der Form und ein Symptom der Erschöpfung zugleich. Er zeigt ein Kino, das technisch immer weiter wächst, aber erzählerisch in seinem eigenen Ökosystem gefangen bleibt. Die Geschichte wird direkt an die Ereignisse in "Avatar: The Way Of Water" angeknüpft (ursprünglich waren beide Filme sogar als ein Teil geplant, erst beim Schreiben des Drehbuchs entschied James Cameron, die Story aufzuteilen, weswegen die Filme besonders eng verbunden sind). Im Verhältnis zu "Avatar" und "Avatar: The Way Of Water" wirkt "Avatar: Fire & Ash" wie der Moment, in dem eine ursprünglich einfache Parabel unter dem Gewicht ihrer eigenen Mythologie zu knirschen beginnt. Der erste Film war im Kern eine geradlinige Kolonialismus-Geschichte: eine "Pocahontas"-Variante im Weltraum, klar, archaisch, bewusst klischeehaft, getragen von der schieren Kraft der Weltentdeckung. "Avatar: The Way Of Water" hat dieses Muster nicht aufgelöst, sondern ausgedehnt: Ein Ortswechsel (Wald zu Ozean), neue Stämme, wieder Familienbedrohung, wieder militärische Präsenz, wieder ein großes Zerstörungsfinale - aber emotional geerdet durch das Familienmotiv und gestützt von einer noch reicheren audiovisuellen Palette. "Avatar: Fire & Ash" ist nun der erste Teil der Reihe, der spürbar unter der Last der Wiederholung steht. Die Welt ist etabliert, die Technik perfektioniert, das zentrale emotionale Thema - Familie als Heiligtum - längst eingeführt. Was fehlt, ist eine echte narrative Entwicklung dieser Prämissen: Stattdessen variiert der Film bekannte Konfliktarchitekturen, verlagert sie auf neue Stämme und Schauplätze und versucht, Intensität vor allem über Quantität zu steigern.

Stärker als seine Vorgänger rückt "Avatar: Fire & Ash" die Perspektive von Spider in den Vordergrund - der menschliche Sohn zwischen den Welten, zerrissen zwischen der Na’vi-Familie, die ihn großgezogen hat, und dem Vater, der in ihm eher ein Werkzeug als ein Kind sieht. Diese Entscheidung ist klug: Sie gibt dem gigantischen Spektakel eine menschliche, verletzliche Mitte und macht einen Konflikt spürbar, der über die einfache Dichotomie "Der Mensch ist böse / die Na’vi sind gut" hinausgeht. Die Frage, was Loyalität bedeutet, wenn Herkunft und Erziehung auseinanderfallen, ist im Keim deutlich komplexer als alles, was der erste "Avatar" sich erzählerisch zugemutet hat. Doch der Film traut dieser Figur nicht immer genug. Wie schon bei Kiri im zweiten Teil wird eine interessante innere Spannung zwar eingeführt, aber selten so konsequent in dramatische Entscheidungen übersetzt, dass der Zuschauer das Gefühl hat: Ohne Spider würde die Geschichte eine andere Richtung nehmen. Stattdessen fällt der Film wieder und wieder auf vertraute Muster zurück - Entführungen, moralische Zwickmühlen, Opfergesten im Finale -, die Spiders Konflikt eher illustrieren, als ihn strukturell zu tragen. Die emotionale Achse ist da, aber sie wird nach dem Lehrbuch belastet, nicht wirklich erforscht.

James Cameron ist ein Regisseur der Klarheit: Seine besten Filme - "Aliens", "The Abyss", "Terminator 2: Tag der Abrechnung", "Titanic" - leben von einer fast brutalen Simplizität in der Dramaturgie, die in der Inszenierung zu opernhafter Größe aufgeladen wird. In "Avatar: Fire & Ash" bleibt diese Klarheit formal erhalten, doch sie kippt zunehmend in Monotonie. Der Film arbeitet wieder mit einer lang vorbereiteten Eskalationsspirale: Ein erster Angriff, ein Rückzug, ein erneuter Vorstoß, eine persönliche Geiselnahme, ein ausgedehntes Finale, das mehrfach scheinbar endet und dann noch eine Steigerungsstufe findet. Was bei "Avatar" noch wie eine klassische, fast altmodische Abenteuergeschichte wirkte und bei "Avatar: The Way Of Water" durch das Meer-Setting und die Einführung der Kinder emotional aufgefrischt wurde, fühlt sich im dritten Anlauf weniger wie Struktur als wie noch mehr Schablone an. Der Zuschauer erkennt die Mechanik: Eine Figur wird isoliert, bedroht, gerettet; ein Clan wird in die Knie gezwungen, sammelt sich, schlägt zurück; Natur und Spiritualität liefern den bildmächtigen, moralischen Unterbau. Die Dramaturgie ist effektiv, aber man spürt, dass sie sich seit Teil Eins kaum verändert hat - sie wurde nur größer, lauter, dichter.

Die größte Stärke der "Avatar"-Reihe war immer das Gefühl, in eine glaubwürdige, sinnlich überladene Welt einzutauchen, in der jedes Biolumineszenz-Partikel, jede Kreatur, jeder Stamm Teil eines konsistenten Ökosystems ist. "Avatar: Fire & Ash" erweitert diese Welt erneut - der Asche-Clan bringt eine visuelle und kulturelle Variante der Na’vi ein, die bedrohlicher, härter, roher wirkt als die bisher bekannten Stämme. Feuer, Ruß, karge Landschaften: Die Bilder stellen eine Art apokalyptisches Spiegelbild der üppigen, wasserreichen Paradiese der Vorgänger dar. Doch genau hier macht der Film seine zentrale Schwäche sichtbar: Das Worldbuilding überragt die Geschichte. Die neuen kulturellen und politischen Spannungen innerhalb der Na’vi bieten enormes Potenzial - eine Abkehr vom einfachen Kolonialismus-Schema hin zu inneren Konflikten, zu Machtverschiebungen, zu der Frage, wie eine bedrohte Kultur selbst Gewalt ausübt. Statt diese Linien konsequent durchzuziehen, nutzt der Film sie oft als Hintergrundtextur für ein vertrautes Grundmuster: Äußerer Feind, innerer Zwist, großes Bündnis im Angesicht der Vernichtung. Es entsteht der Eindruck, dass Pandora immer reicher, die Handlung aber immer dünner wird.

Darstellerisch bleibt die Reihe auf ihrem Niveau, was fast paradoxerweise die erzählerischen Defizite unterstreicht. Zoe Saldañas Neytiri ist weiterhin emotionaler Kern: Wut, Trauer, Schutzinstinkt - alles schlägt direkt durch die digitale Maske, so dass der Zuschauer kaum je vergisst, dass hier echte Körper und Gesichter performen. Stephen Langs Quaritch wird im Verlauf der Trilogie zur tragischeren, innerlich zerrissenen Figur, ohne je komplett seine Funktion als personifizierter Rachetrieb zu verlieren. Oona Chaplin als Varang bringt eine neue, kalte Intensität ins Ensemble; ihr Clan wirkt glaubhaft als Macht, die nicht nur Opfer, sondern auch Täter ist. Der Widerspruch liegt darin, dass diese komplexeren Figurenkonstellationen oft auf relativ simplen Motivketten beruhen: Rache, verletzter Stolz, Loyalität zur Familie, Misstrauen gegenüber dem Fremden. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes - große Mythen funktionieren seit Jahrhunderten nach solchen Schemata -, aber "Avatar: Fire & Ash" suggeriert mit seiner epischen Laufzeit und Weltfülle eine psychologische Tiefenschärfe, die das Drehbuch nicht konsequent einlöst. Man spürt, wie oft Figuren nicht handeln, weil ihre innere Logik sie dazu zwingt, sondern weil der Plot eine bestimmte Konstellation benötigt.

Camerons spätes Werk ist vom Motiv der Familie besessen. Schon in "Avatar: The Way Of Water" wurde das Mantra "Die Sullys halten zusammen" zum emotionalen Leitmotiv, und "Avatar: Fire & Ash" führt diese Linie fort und verschärft sie. Familie ist hier zugleich Schutzraum, moralischer Kompass und Achillesferse: Fast jeder dramatische Höhepunkt entsteht aus einer Bedrohung für Kinder, Partner oder Wahlverwandte. Das verleiht dem Spektakel Bodenhaftung, macht aber auch deutlich, wie eng der thematische Rahmen geworden ist. Während "Avatar" noch eine klassische Reise vom Ich zum Wir war und "Avatar: The Way Of Water" die Verantwortung des Elternseins in einer feindlichen Welt thematisierte, wirkt "Avatar: Fire & Ash" stellenweise wie eine Wiederholung derselben Lektion: Familie ist alles, die äußere Welt ist gefährlich, Loyalität wird im Blut bezahlt. Was fehlt, ist der nächste gedankliche Schritt - etwa die Frage, wann familiäre Loyalität selbst zu einem blinden Fleck wird, der kollektive Verantwortung verhindert. Der Film deutet solche Ambivalenzen an, wenn innerna’vianische Konflikte eskalieren, zieht aber selten die Konsequenz, sie auch moralisch wirklich unbequem zu machen.

Formal bleibt Cameron immerhin auf einem Niveau, das die meisten Blockbuster schlicht alt aussehen lässt: Die Organisation der Action, die räumliche Klarheit, der Einsatz von IMAX, 3D und High Frame Rate, die Präzision des Schnitts - all das ist technisch nahezu makellos. "Avatar: Fire & Ash" bietet Bilder, für die das Kino erfunden worden zu sein scheint: infernalisch leuchtende Schlachtfelder, glühende Asche über schimmernden Körpern, das Nebeneinander von Naturidylle und Kriegstrauma in einer einzigen Einstellung. Doch je weiter die Reihe fortschreitet, desto deutlicher stellt sich eine Frage: Wozu dient das alles? Beim ersten "Avatar" war die Antwort einfach: Wir schauen einem Mann zu, der eine neue Welt entdeckt und dadurch ein besserer Mensch wird. Im zweiten Film lernt eine Familie zu überleben, indem sie sich anpasst und ihre Schwächen eingesteht. Beim dritten Film ist die Antwort weniger klar. Das Spektakel ist atemberaubend, aber es erzählt zunehmend Variationen desselben Konflikts. Der Eindruck entsteht, dass die formale Innovation schneller vorankommt als die Ideen, die sie tragen sollen.

Im Kontext der ersten beiden Filme lässt sich "Avatar: Fire & Ash" als Wendepunkt lesen: Es ist der Moment, in dem die "Avatar"-Reihe endgültig zur eigenen Mythologie wird - reich an Symbolen, Stämmen, Ritualen, bedeutungsschweren Visionen -, ohne sich gleichermaßen um die innere Notwendigkeit jeder neuen Wendung zu kümmern. Die Geschichte entwickelt sich weniger organisch aus den Figuren und mehr aus der Notwendigkeit, eine übergeordnete Saga über mehrere Teile zu spannen. Das Ergebnis ist ein Film, der gleichzeitig beeindruckt und ermüdet. Er demonstriert, wie weit Blockbuster-Kino technisch gediehen ist, und erinnert doch daran, dass selbst die beeindruckendste Welt irgendwann nach einer Geschichte schreit, die mehr ist als eine weitere, wenngleich sehr kunstvoll arrangierte Belagerung. "Avatar: Fire & Ash" ist ein Film, den man sich mit offenem Mund ansieht - und dabei spürt, dass die Augen voller Wunder sind, während der Kopf sich wünscht, das Herz bekäme etwas riskanteres, unerwarteteres zu tun. Dennoch wieder visuell eine Wucht und der Gedanke, dass genau für solche Filme IMAX 3D existiert.

7,5/10

Quellen:
InhaltsangabeFilmstarts
Poster/Artwork: Twentieth Century Studios/Disney

Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery (2025)

https://www.imdb.com/de/title/tt14364480/

Der Priester Jud Duplenticy (Josh O'Connor) bekommt einen neuen Auftrag von der Kirche. Er soll Monsignore Jefferson Wicks (Josh Brolin) und dessen Gemeinde unter die Arme greifen. Dort trifft er auch auf die äußerst fromme Martha Delacroix (Glenn Close), den geschäftigen Hausmeister Samson Holt (Thomas Haden Church), die permanent unter Strom stehende Anwältin Vera Draven (Kerry Washington), den ambitionierten Politiker Cy Draven (Daryl McCormack), den städtischen Arzt Nat Sharp (Jeremy Renner), den äußerst erfolgreichen Autoren Lee Ross (Andrew Scott) und die Cellistin Simone Vivane (Cailee Spaeny). Es ist dieses Gemeinschaft, die besonders erschüttert ist von einem Mord, der in der Stadt geschieht. Dessen Umstände sind jedoch derart rätselhaft, dass sich die Polizeichefin Geraldine Scott (Mila Kunis) auch nicht mehr zu helfen weiß. Also deckt sie das große Besteck auf und ruft den legendären Detektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) um Hilfe.

"Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery" ist ein Krimi, der seinen eigenen Atem zählt - langsamer, schwerer, spiritueller - ohne den federnden Witz des ersten "Knives Out" ganz zu verlieren. Der Film fühlt sich an wie ein Gebet, das als schwarzhumoriger Krimi verkleidet ist. Regisseur Rian Johnson verlegt den dritten Benoit‑Blanc‑Fall in ein religiös aufgeladenes Umfeld rund um eine katholische Gemeinde und einen charismatisch-gefährlichen Monsignore, dessen Tod den Plot in Gang setzt. Der Ton ist deutlich düsterer und ernster als in den Vorgängern, mit starkem Fokus auf Themen wie Glaube, Machtmissbrauch, Schuld und Erlösung. Humor ist weiterhin präsent, aber er wirkt wie Zwischentöne in einem ansonsten von Zweifel und moralischer Schwere bestimmten Stück.

Johnson scheint seine eigene Erfolgsformel bewusst zu unterlaufen: weniger Gag-Feuerwerk, mehr atmosphärischer Druck und strukturelle Experimente (etwa die an Kreuzweg‑Stationen erinnernde Kapitelstruktur). Die klassischen Puzzelteile des Whodunit werden sorgfältig gelegt, aber statt eines reinen Rätselspaßes entsteht ein Film, der das Publikum auffordert, über Spiritualität, Institution und persönliches Gewissen nachzudenken. Johnson verschränkt gekonnt Form und Inhalt: Der Krimi ist nicht nur über Glauben - er ist in seinem geduldigen, kreisenden Erzählen selbst ein Akt des Zweifelns.

Daniel Craig spielt Benoit Blanc hier härter und introvertierter; seine Südstaaten‑Sprechweise klingt weniger verspielt, mehr wie das Werkzeug eines Mannes, der gelernt hat, in Systemen zu lesen, nicht nur in Menschen. Die Chemie mit Josh O’Connor als innerlich zerrissenem jungen Priester Jud Duplenticy ist das emotionale Herz des Films - ihre Dialoge verhandeln nicht nur Verdachtsmomente, sondern die Frage, ob Moral ohne Glauben oder Glaube ohne Moral überhaupt Bestand haben kann. Glenn Close bringt als rechte Hand des Monsignore eine scharfe, beinahe fanatische Energie ein, die jede Szene kippen lassen kann; sie ist die Figur, bei der man die Formulierung "Es gibt keine kleinen Rollen, nur kleine Schauspieler" direkt bestätigt sieht.

Die Bildgestaltung nutzt Kirchenräume, Sakristeien und sakrale Architektur, um eine klaustrophobische Spiritualität zu erzeugen: Licht fällt wie ein Verhör aus den Fenstern, Schatten wirken wie unausgesprochene Sünden. Die Kamera verweilt länger auf Gesichtern und Ritualen, weniger auf kinetischer Bewegung; das ergibt einen langsamen, beinahe kontemplativen Rhythmus, der den Film näher an ein religiöses Kammerspiel als an eine klassische Gesellschaftssatire rückt. Die ländlich‑parochiale Umgebung ersetzt das dekadente Herrenhaus des ersten Films und die gläserne Insel des zweiten durch eine Gemeinschaft, deren Machtstrukturen unsichtbarer, aber nicht weniger toxisch sind.

Man könnte somit den neuen Film nicht als Revolution, sondern als Re‑Kalibrierung der Reihe betrachten: weniger Crowd‑Pleaser als die ersten beiden, aber mutiger in Ton und Themenwahl. Er ist zweifelslos der atmosphärisch stärkste Teil der Reihe, aber ein schwächerer Krimi der Trilogie - doch Casting und inszenatorische Sicherheit lassen über dieses Manko hinwegsehen. Damit bleibt zu hoffen, dass Johnsons und Craigs Zusammenarbeit noch lange Zeit Früchte tragen wird. Solange dieses Duo bereit ist, mit Setting, Ton und Thema zu experimentieren, wirkt Benoit Blanc wie eine Figur, die - ganz im Sinne klassischer Detektive - immer wieder in neue Milieus versetzbar ist, vom Kirchenchor bis zum Silicon‑Valley‑Boardroom.

7,5/10

Quellen:
InhaltsangabeFilmstarts
Poster/Artwork: Netflix

Samstag, 13. Dezember 2025

A Monster Calls - Sieben Minuten nach Mitternacht (2016)

https://www.imdb.com/de/title/tt3416532/

Der kleine Conor (Lewis MacDougall) lebt bei seiner kranken Mutter Elizabeth (Felicity Jones) und fühlt sich in der Schule alles andere als wohl – einige Kinder hänseln Conor, andere behandeln ihn wegen der Krankheit seiner Mama wie ein rohes Ei. Und auch zu Hause scheint sich alles nur noch weiter zu verschlimmern, vor allem wenn Conor bei seiner strengen Großmutter (Sigourney Weaver) sein muss. Als wäre dies alles nicht schon aufwühlend genug, hat Conor obendrein immer wieder Alpträume, in denen er an den drohenden Tod seiner Mutter erinnert und die alte Eibe vor dem Fenster lebendig wird, sich plötzlich in ein knorriges Monster (Stimme im Original: Liam Neeson) verwandelt. Das unheimliche Wesen zerstört die Umgebung – und erzählt Conor, worin der Unterschied besteht zwischen Realität und Märchen…

Unter der Regie von Juan Antonio Bayona, verwebt dieser grandiose Film Fantasy mit roher emotionaler Wahrheit in der Geschichte des 13-jährigen Conor O’Malley (Lewis MacDougall), dessen Mutter (Felicity Jones) an Krebs erkrankt ist und der sich einem sprechenden Monster aus einer Eibe gegenübersieht, das ihm drei Geschichten erzählt, um ihn zur Auseinandersetzung mit seinem inneren Albtraum zu zwingen. Der Film balanciert präzise zwischen kindlicher Imagination und der Unerbittlichkeit des Verlusts, ohne je in Sentimentalität abzugleiten, und erreicht eine Tiefgründigkeit, die Themen wie Schuld, Verleugnung und Loslassen durch Conors Perspektive beleuchtet. 

Denn Conor quält ein wiederkehrender Traum, in dem er jemanden nicht festhalten kann; das Monster (Stimme von Liam Neeson) erscheint pünktlich um sieben Minuten nach Mitternacht, erzählt Parabeln über Grauzonen zwischen Gut und Böse, Unsichtbarkeit und Opfer, die Conor zwingen, seine Verdrängung der mütterlichen Sterblichkeit aufzubrechen. Die dritte Geschichte kulminiert in Conors Ausbruch gegen Mobber, symbolisiert durch physische Zerstörung, die seine unterdrückte Wut externalisiert. Letztlich konfrontiert das Monster ihn mit der vierten Wahrheit: seinem Wunsch, das Leiden zu beenden, was nicht Hass auf die Mutter bedeutet, sondern menschliche Erschöpfung - eine nuancierte Erkundung von Trauer, die Bayona aus kindlicher Sicht authentisch macht.

Bayonas Inszenierung glänzt durch fantastische Sequenzen, in denen die Monster-Geschichten als aquarellartige, nostalgisch-märchenhafte Animationen wirken, kontrastierend mit der kargen Realität von Krankheit und Isolation. Diese Dualität unterstreicht die Tiefgründigkeit: Fantasie dient nicht der Flucht, sondern als Katalysator für Catharsis, wie Conors Zerstörung des Großmutter-Wohnzimmers zeigt, das seine innere Zerrissenheit materialisiert. Der Score und die Kamera fangen stille Momente der Verletzlichkeit ein, während Sigourney Weavers strenge Großmutter und Toby Kebbells distanzierter Vater Conors Welt nuancieren, ohne Klischees zu bedienen.

MacDougalls Leistung als Conor - verschlossen, doch von unterdrückter Wut durchzogen - trägt den Film, ergänzt durch Neesons vielschichtiges Monster, das väterlich-bedrohlich oszilliert. Die Tiefgründigkeit entfaltet sich in der Weigerung, einfache Heilung zu bieten: Conor lernt, Wahrheit auszusprechen ("Ich will nicht, dass du stirbst"), was Loslassen ermöglicht, ohne die Komplexität von Schuldgefühlen zu mindern. Bei 108 Minuten misst der Film Maß, vermeidet Übertreibung und respektiert sein jugendliches Publikum durch identifikationsstarke Botschaften über Trauerbewältigung.

9/10

Quellen:
InhaltsangabeFilmstarts
Poster/Artwork: Participant/River Road Entertainment/A Monster Calls

Mittwoch, 10. Dezember 2025

Malum - Malum: Böses Blut (2023)

https://www.imdb.com/de/title/tt9472334/

Es ist noch nicht allzu lange her, da befreite der Cop Will Loren (Eric Olson) drei Mädchen aus den Klauen einer mörderischen Sekte. Kurz darauf startete er allerdings aus bis heute unbekannten Motiven einen Amoklauf mit vielen Toten auf der Wache, auf der er stationiert war. Als ihm die Munition auszugehen drohte, nahm er sich selbst das Leben. Nun steht seine erwachsene Tochter Jessica (Jessica Sula) vor ihrem ersten Tag als Polizistin. Sie wird allein sein, wenn sie die letzte Schicht in dem mittlerweile stillgelegten Gebäude übernimmt, in dem das Leben ihres Dads endete. Schon bevor sie die Wache erreicht, verläuft ihr Tag alles andere als reibungslos. Ein Besuch an Wills Grab endet in einer unschönen Konfrontation mit ihrer entfremdeten Mutter (Candice Coke). Nachdem sie auf dem Weg zum Revier dann von Sektenmitgliedern angefeindet wird und der Beamte, den sie ablöst, ebenfalls feindselig reagiert, beginnen die Dinge erst richtig seltsam zu werden. Jessica hatte sich freiwillig für diese Schicht gemeldet, da sie hoffte, so mehr über ihren Vater und seine letzten Stunden in Erfahrung zu bringen. Doch schon bald wird sie viel mehr herausfinden, als sie eigentlich wissen wollte …

"Malum" wirkt wie ein Film, der sich in seinem eigenen Alptraum-Gebäude eingeschlossen hat: eine Polizistin, eine Nacht, ein verfluchtes Revier - und die Frage, ob hier ein Ort heimgesucht wird oder ein Erbe. Die Grundidee ist schlicht, aber wirkungsvoll: Jessica Loren tritt ihren Dienst in einer fast aufgegebenen Polizeiwache an, um den letzten Nachtdienst zu schieben und gleichzeitig dem Rätsel um ihren Vater, einen gescheiterten Cop mit Kult-Vergangenheit, näherzukommen. Damit verschiebt das Remake von Anthony DiBlasis "Last Shift" den Fokus stärker auf familiäre Schuld und Trauma - die Wache ist nicht nur Spukort, sondern Tatort einer Geschichte, die Jessica persönlich betrifft.

Der Film entfaltet seine Spannung weniger über Handlung als über Eskalationsstufen der Wahrnehmung: Zuerst sind es nur merkwürdige Geräusche, gestörte Funkdurchsagen, verunsichernde Begegnungen, dann tauchen immer stärker körperlich präsente Manifestationen des Paymon-Kults und der Opfer des vergangenen Massakers auf. "Malum" baut das zu einer Art Geisterbahn in Polizeiuniform aus - mit praktischen Masken, derben Effekten und einem zunehmend surrealen Raumgefühl, das Kritiker teils als intensiver, teils als überladen empfinden. Der Horror sitzt dabei oft am Bildrand, im Halbdunkel der Gänge, bis der Film im letzten Drittel die Zurückhaltung aufgibt und in offenen Kult- und Monsterbildern kulminiert. Im Vergleich zu "Last Shift" setzt "Malum" auf mehr von allem: mehr erklärtes Kult-Lore, mehr Blut, mehr Visionen, ein deutlicherer Einblick in den satanischen Familienzirkel rund um Paymon. Das macht den Film zugänglicher als klassischen Spuk - das Böse hat ein Gesicht, eine Geschichte - nimmt ihm aber ein Stück der verstörenden Unklarheit, die das Original auszeichnete. Jessica ist stärker als tragische Heldin im Zentrum platziert, bleibt laut vielen Kritiken zugleich zu schematisch: Ihre Motivation ist klar, ihre inneren Widersprüche bleiben eher angedeutet als wirklich durchgespielt.

Handwerklich liegt "Malum" solide im gehobenen Independent-Bereich: Die reale, labyrinthartige Location verleiht der Wache Schwere und Textur, das Sounddesign - entfernte Schreie, hallende Schritte, verstörte Funksprüche - trägt viel zur Atmosphäre bei, auch wenn sich der Film spürbar auf konventionelle Jump Scares verlässt. Dichte und Intensität sind lobenswert, leider gibt es Redundanzen im Mittelteil und ein Finale, das eher Effektversprechen als thematische Zuspitzung einlöst. "Malum" ist damit ein noch sehenswertes, aber nicht essentielles Stück Genre-Kino - interessanter als viele Fließbandproduktionen, ohne den eigenen Stoff so radikal zu erneuern, dass die Existenz als Remake völlig gerechtfertigt wirkt.

6/10

Quellen:
InhaltsangabeFilmstarts
Poster/Artwork: Skyra Entertainment/Welcome Villain

She Came From The Woods (2022)

https://www.imdb.com/de/title/tt14905554/

1987: Zusammen mit seiner Tochter Heather (Cara Buono) leitet Gilbert McCalister (William Sadler) ein Ferienlager für Jugendliche. Am letzten Sommerabend versammeln sich die Mitarbeiter*innen (u. a. Adam Weppler und Ehad Berisha) von Camp Briarbrook am Waldrand, um das Ende einer weiteren Saison mit reichlich Alkohol zu feiern. Angetrunken erlaubt sich einer von ihnen einen Witz, indem er den Geist der legendären Agatha heraufbeschwören will. Bei ihr handelte es sich angeblich um eine sadistische Krankenschwester, die vor langer Zeit in dem Camp angestellt war und auf grausame Weise gestorben sein soll. Mittlerweile würde sie Schauermärchen zufolge zwischen den Bäumen herumspuken und freche Kids zu sich holen. Aus dem makabren Spaß wird für die arglosen Jugendbetreuer schnell Ernst, als die gruselige Dämonin kurz darauf tatsächlich vor ihnen steht...

Grundsätzlich ein irgendwo sympathischer, aber dennoch uneben geratener Beitrag zum Nostalgie‑Horror: ein 80er‑Campfire‑Movie, der sein Herz sichtbar am rechten Fleck trägt, ohne die Raffinesse jener Klassiker zu erreichen, denen er nacheifert. Der Film ist weniger interessant darin, was er neu erfindet, als in dem, was er über unsere Sehnsucht nach den vertrauten Ritualen des Camp‑Slashers verrät. Die Figurenzeichnung setzt stark auf Archetypen: der überforderte Camp-Leiter, die engagierte Betreuerin, der zynische Spaßmacher, der Problemjugendliche - Typen, die eher als Bausteine eines Genres denn als tiefgründige Charaktere funktionieren. Die Besetzung spielt dennoch insgesamt solide, aber nur wenige Figuren erreichen echte emotionale Tiefe, weil der Film zu viele Rollen jongliert, um wirklich Nähe zuzulassen. Tonal schwankt der Film zwischen Horror und Komödie: Ein Teil der Spannung rührt aus den oft derben, selbstironischen Dialogen, doch nicht jeder Gag sitzt, und manche Reaktion der Figuren auf Gewalt und Tod wirkt eher wie Meta‑Humor, der die Immersion untergräbt.

Regie und Kamera zielen deutlich auf eine 80er‑Camp‑Atmosphäre: Neonfarben, Rock‑ und Synth‑Einflüsse, klassische Lagerfreizeit‑Montagen und das Setting im Wald verorten den Film klar als Retro‑Hommage. Die praktischen Effekte - Blut, Make‑up, Kills - sind ordentlich (gerade im Vergleich zu billigem CGI) was dem Film einen gewissen Charme verleiht. Gleichzeitig ist zwar die Inszenierung kompetent, aber visuell kaum markant: Die Bilder bleiben funktional, ohne jene ikonischen Einstellungen zu erzeugen, die man mit Genre‑Vorläufern verbindet. Im Vergleich zu Klassikern wie "Freitag der 13." oder modernem Camp‑Horror mit Meta‑Einschlag wie "The Final Girls" positioniert sich "She Came From The Woods" als liebevoller, aber kleinerer Genre‑Beitrag. Wie diese Vorbilder setzt der Film auf das Motiv des verfluchten Camps und die Konfrontation einer Clique mit einer Legende, verzichtet aber auf eine klar ikonische Killerfigur zugunsten eines übernatürlichen Fluchs und besessener Kinder, was ihn eher in Richtung "Kinder des Zorns" und übernatürlichen Slasher‑Hybriden rückt. Inhaltlich versucht der Film, Familiengeheimnisse und Generationenkonflikte in die Mythologie einzubauen, bleibt dabei jedoch weniger pointiert als seine Inspirationsquellen und erreicht nicht die  vielleicht gewünschte emotionale Resonanz. "She Came From The Woods" wirkt daher wie ein Film, dessen größter Vorzug seine Aufrichtigkeit ist: Er liebt das Genre sichtbar und schenkt seinen Figuren - trotz deutlicher Klischees - genug Menschlichkeit, dass man sie nicht bloß als Kanonenfutter wahrnimmt. Zugleich bleiben Strukturprobleme, tonale Schwankungen und begrenzte Originalität unübersehbar. Der Film ist durchaus unterhaltsam, aber letztlich austauschbar - ein ordentlicher Abend für Genrefans, aber kein Werk, das das Horror‑Lexikon neu schreibt. Vielleicht ist es angemessen, ihn so zu sehen, wie man ein Lagerfeuermärchen betrachtet: Es muss nicht vollkommen neu sein, damit es funktioniert - es muss nur mit genügend Energie erzählt werden, damit man für eine Weile vergisst, wie viele Male man diese Geschichte schon gehört hat.

5,5/10

Quellen:
InhaltsangabeFilmstarts
Poster/Artwork: Mainframe Pictures

Dienstag, 9. Dezember 2025

Blue Velvet (1986)

https://www.imdb.com/de/title/tt0090756/

Der junge Jeffrey Beaumont (Kyle MacLachlan) findet auf einer Wiese ein abgeschnittenes Ohr. Nachdem er das Körperteil der Polizei übergeben hat, beschließt er, selbst der Sache weiter nachzugehen. Sandy Williams (Hope Lange), die Tochter eines Polizisten, bringt ihn auf die Spur der Nachtclubsängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini), mit der er sich bald auf eine sado-masochistische Beziehung einlässt. Schnell bekommt Jeffrey mit, dass Dorothy von einem Perversen (Dennis Hopper) missbraucht und erpresst wird...

Man ist keine 5 Minuten in diesem Film drin und man weiß: das ist ein David Lynch. Und "Blue Velvet" ist auch einer der zentralen Filme im Œuvre David Lynchs, weil er das vermeintlich Idyl­lische der US-Vorstadt gnadenlos mit unterdrückter Gewalt, Sexualität und Trauma kollidieren lässt. Gleichwohl ist er ein Schlüsselwerk des amerikanischen Kinos der 1980er-Jahre. Entstanden mitten in der Reagan-Ära, seziert der Film das konservative Bild der sauberen Kleinstadt, indem er zeigt, was unter der gepflegten Oberfläche fault - im wahrsten Sinne des Wortes, wenn die Kamera vom grünen Rasen in die wimmelnde Insektenwelt unter der Erde fährt.

"Blue Velvet" erschien 1986, also in einer Phase, in der Hollywood sich einerseits dem Blockbuster-Kino verschrieb, andererseits aber ein eigenwilliges Autorenkino im Independent-Bereich zuließ. Lynch nutzt diese Freiheit, um klassische Genremuster - Krimi, Film noir, Melodram - mit surrealistischen Strategien zu verbinden und damit das Selbstbild der amerikanischen Mittelschicht in der Reagan-Ära als ideologische Konstruktion zu entlarven. Die bewusst altmodisch wirkenden musikalischen und visuellen Bezüge auf die 1950er- und frühen 1960er-Jahre verstärken den Eindruck, dass hier eine nostalgische, aber trügerische "heile Welt" unterlaufen wird, die nur noch als Zitat existiert. 

Die Story folgt dem Studenten Jeffrey Beaumont, der nach dem Fund eines abgeschnittenen Ohres in eine kriminell-sexuelle Unterwelt hineingezogen wird, die sich hinter der Fassade des Städtchens Lumberton verbirgt. Filmwissenschaftlich auffällig ist die konsequente Arbeit mit Dualitäten: hell/dunkel, Vorstadtidylle/urbaner Sumpf, Unschuld/Pervertierung, Traum/Realität - strukturiert durch visuelle Gegensätze, Tongestaltung und eine streng motivierte Farbdramaturgie. Die wiederkehrenden Einstellungen von Oberflächen (Rasen, Haut, Stoffe) und das motivische "Hinabsteigen" - in Wohnungen, Hinterräume, in das Innere eines Ohres - markieren den Übergang von der sichtbaren, sozial akzeptierten Realität in eine verdrängte, unbewusste Sphäre, was psychoanalytische Lesarten (vor allem die des Surrealismus) nahelegt. Kyle MacLachlan spielt Jeffrey als Mischung aus naivem Boy-Next-Door und latent fasziniertem Voyeur - seine Entwicklung vom neugierigen Beobachter zum moralisch kompromittierten Mitspieler macht die Attraktivität des "Dunklen" erfahrbar, ohne sie zu entschuldigen. Isabella Rossellini verkörpert die Nachtclubsängerin Dorothy Vallens mit einer Verletzlichkeit, die sich ständig mit masochistisch gefärbter Sexualität überlagert; ihre Figur fungiert als Projektionsfläche männlicher Fantasien, ist zugleich aber traumatisiertes Subjekt, das unter Erpressung und sexualisierter Gewalt versucht, minimale Handlungsfreiheit zu bewahren. Dennis Hopper setzt als Frank Booth einen radikal exzessiven, zugleich erschreckend präzise komponierten Sadisten in Szene, dessen kindische, in jedem zweiten Wort von einem "fuck" geprägten, Sprachmuster, Atemgerät-Rituale und plötzliche Gefühlsumschwünge ihn weniger als "Monster" denn als grotesk entgleistes Produkt derselben Kultur erscheinen lassen, die sich in Lumberton so gern als sauber und moralisch intakt inszeniert.

Aus filmwissenschaftlicher Perspektive gilt "Blue Velvet" heute als paradigmatisches Beispiel postmoderner Ästhetik im Kino: Zitatkultur, Genre-Hybridisierung, Ironie und bewusste Künstlichkeit verbinden sich zu einer Reflexion über Bilder und Begehren selbst. Der konsequent inszenierte Voyeurismus - vom Prolog über Jeffreys Spionieren bis zur Zuschauerposition - verwandelt das Publikum in Komplizen der neugierigen, lustvollen, zugleich schuldbewussten Blicke; der Film thematisiert damit die Bedingungen des Kinos selbst als Apparat der Sichtbarmachung und des Begehrens. "Blue Velvet" markiert so einen Übergang in Lynchs Werk: zwischen der noch relativ klassischen Narration von "The Elephant Man" und der radikalen Traumlogik späterer Filme wie "Lost Highway" oder "Mulholland Drive", bleibt aber gerade durch seine klare Grundkonstellation einer der zugänglichsten und gleichzeitig analytisch ergiebigsten Filme seines Schaffens.

8/10

Quellen:
InhaltsangabeFilmstarts
Poster/Artwork: De Laurentiis Entertainment Group/Orion Pictures

Sonntag, 7. Dezember 2025

九龍城寨之圍城 - Jiǔ Lóng Chéng Zhài·Wéi Chéng - Twilight of the Warriors: Walled In - City Of Darkness (2024)

https://www.imdb.com/de/title/tt20316748/

In den 1980er-Jahren ist die ummauerte Stadt Kowloon, eine gefährliche chinesische Enklave im kolonialen Hongkong und bezeichnend "City Of Darkness" genannt wird, ein Sammelbecken für zahlreiche zwielichtige Gestalten, für die es andernorts keinen Platz mehr gab. Hier herrschen längst nicht mehr Recht und Gesetz, sondern die Triaden, also die chinesische Mafia. Auch der junge Chan Lok-kwun (Raymond Lam) lebt mittlerweile hier. Während er versucht, seinen Kopf über Wasser zu halten, gerät er an andere Außenseiter, die zwischen all den verfeindeten Banden ihr ganz eigenes Spiel in Kowloon spielen...

Unter der Regie von Soi Cheang ist "City of Darkness" eine packende Hommage an das goldene Zeitalter des Hongkonger Actionkinos. Die Geschichte von Loyalität und Rache spielt in der berüchtigten Kowloon Walled City (daher auch der englische Zusatztitel "Walled In") der 1980er-Jahre. Raymond Lam verkörpert Chan Lok-kwan, einen Flüchtling, der in dieses labyrinthische Slum - eine gesetzlose Enklave des Chaos, bevölkert von Menschen, Müll und rivalisierenden Banden - gerät und bei dem geheimnisvollen Cyclone (Louis Koo) Zuflucht sucht. Was als intensive Erkundung dieses urbanen Labyrinths beginnt, entwickelt sich zu einem erbitterten Machtkampf, in dem Bedrohungen von Bossen wie Mr. Big und dem skrupellosen King (Philip Ng) die Bande der Brüderlichkeit inmitten der Übergabe Hongkongs an China auf die Probe stellen. 

Cheang inszeniert dieses Kowloon meisterhaft als eigenständigen Charakter: ein dicht bebautes, intuitiv erkundbares Labyrinth, das durch seine detailreichen Ornamente lebendig wirkt und eher an Open-World-Videospiele als an konventionelle Spielfilme erinnert. Das Produktionsdesign maximiert diese "Wimmelbild"-Ästhetik - überfüllte Bilder voller Menschen, Trümmer und flackernder Neonlichter - und verwandelt die Stadt in Gefängnis und Zuflucht zugleich. Ihre Atmosphäre ist in jeder schattigen Gasse und auf jedem wackeligen Dach spürbar. Dies ist nicht bloß Kulisse; sie verstärkt den elegischen Ton des Films und fängt die Aura einer verschwindenden Welt am Rande des Abrisses ein. Die von Kenji Tanigaki choreografierten Kämpfe vereinen kreative Anarchie mit präziser Handwerkskunst. Körper werden durch Wände und über schwindelerregende Höhen geschleudert - Sequenzen, die den opernhaften Stil John Woos ehren, ohne in Raserei abzurutschen. Zu den Höhepunkten zählen brutale Triadenkämpfe mit Fäusten, Klingen und Eisenwaffen, in denen die Athletik trotz rasanter Schnitte glänzt. Einige spätere Auseinandersetzungen driften jedoch in übernatürliche Albernheit und übertriebene Unwirklichkeit ab. Stars wie Sammo Hung, Aaron Kwok und Richie Jen werten diese Actionsequenzen auf und spiegeln die Charakterentwicklung durch Körperlichkeit statt durch bloßes Spektakel wider. 

Lams Charakter Chan entwickelt sich vom Außenseiter zum Dreh- und Angelpunkt einer generationenübergreifenden Saga um Rache, Erbschaft und zerbrochene Freundschaften, obwohl die Handlung ihn gelegentlich in ein stereotypisches Gangsterdrama verfällt. Koos Cyclone blickt mit tragischer Voraussicht hinter seiner Sonnenbrille und bildet einen Kontrast zu Hungs prinzipientreuem Boss, während Ng Kings übertriebene Bedrohlichkeit genüsslich verkörpert. Mit 126 Minuten Laufzeit jongliert der Film mit zu vielen Figuren - manche Nebencharaktere stellen die Hauptdarsteller in den Schatten -, doch die Themen Ehre und Solidarität inmitten von Ausbeutung fügen sich zu einem ergreifenden Spiegelbild von Hongkongs turbulenter Ära zusammen. Der Film ist aber beileibe nicht fehlerfrei: Sentimentalität schimmert an manchen Stellen durch, und die Kohärenz des weitläufigen Flüchtlings-Triaden-Epos leidet. Doch als Comic-Maximalismus mit historischem Gewicht - witzig, wild und voller Nostalgie - zählt "City Of Darkness" zu den größten Martial-Arts-Erfolgen des Jahres 2024 und ist eine Liebeserklärung an die goldene Ära des Actionfilms. 

7/10

Quellen:
InhaltsangabeFilmstarts/Plaion
Poster/ArtworkEntertaining Power/HG Entertainment Film Company/Lian Ray Pictures