Mittwoch, 1. Mai 2024

Mars Express (2023)

https://www.imdb.com/title/tt26915336/

Im Jahr 2200 werden die eigenwillige Privatdetektivin Aline Ruby (Stimm eim Original: Léa Drucker) und ihr Androidenpartner Carlos Rivera (Daniel Njo Lobé) von einem reichen Geschäftsmann angeheuert, um auf der Erde eine berühmte Hackerin zu fassen. Zurück auf dem Mars führt sie ein neuer Fall in die Eingeweide der Mars-Hauptstadt Noctis, wo sie nach der verschwundenen Kybernetik-Studentin Jun Chow (Geneviève Doang) suchen. Noctis ist ihre Stadt, eine libertäre Utopie, die durch Fortschritte in der Robotik ermöglicht wurde und das Sinnbild einer Zukunft ist, die nach den Sternen greift. Im Laufe ihrer Ermittlungen werden sie mit den dunkelsten Geheimnissen ihrer Stadt konfrontiert: korrupte Institutionen, Schmuggel, Gehirnfarmen und die Machenschaften der mächtigen Konzerne. Doch auch Killer aus dem Cyberspace haben es auf Jun Chow abgesehen. Aline und Carlos begeben sich auf einen verzweifelten Wettlauf, um die junge Frau zu retten, die, ohne es zu wissen, ein Geheimnis hütet, das das prekäre Gleichgewicht, auf dem ihre Zivilisation beruht, bedrohen könnte.

Ein ganz normales Studentenwohnheim, ein ganz normaler Morgen. Eine junge Frau streichelt ihr Haustier. Plötzlich klingelt es an der Tür. Sie öffnet die Tür, ohne zu wissen, dass dahinter ihr Verderben lauert. Von der ersten Minute an packt einen "Mars Express" mit seiner rohen und brutalen Gewalt. In der düsteren futuristischen Welt, die Regisseur Jérémie Périn und Autor Laurent Sarfati erschaffen haben, scheint Hoffnung eine Seltenheit zu sein, die durch den Zynismus von Robotern und Menschen gleichermaßen ersetzt wurde. Doch als Fan von Hard-Science-Fiction und Neo-Noir ist man definitiv schon vor dem Ende der Einleitung im siebten Himmel.

Der Zuschauer folgt Aline Ruby (Léa Drucker), einer Privatdetektivin im Chinatown-Stil, die vom versuchten Mord an Jun Chow besessen ist, der eigentlich das Ziel des Attentäters war, der den armen Studenten früher im Film getötet hat, und entdeckt eine düstere Zukunft, in der Androiden die letzte Spezies sind, die von der Menschheit versklavt wird. Von der Gesellschaft gemieden und wie Freaks behandelt, sind sie gezwungen, sich um alle menschlichen Bedürfnisse und Wünsche zu kümmern, selbst und - natürlich - um die dunkleren. Was an "Mars Express" gefällt hat, ist, dass der Zuschauer, nicht unähnlich "Ghost In The Shell", welchen Périn als einen der Haupteinflüsse dieses Films nennt, diese Welt nicht nur aus Alines Sicht entdecken, sondern auch durch die Holo-Augen des Androiden Carlos Rivera. Alines langjähriger Kollege Rivera starb fünf Jahre vor den Ereignissen des Films bei einem traumatischen Söldnerfeldzug, und sein ganzes Sein ist nun in einen rostigen und veralteten Cyborg-Körper hochgeladen. Der herzzerreißende Handlungsbogen dieser Figur, die verzweifelt versucht, mit seiner Frau und Tochter wieder zusammenzukommen, die nach seinem Tod inzwischen weitergezogen sind, führt zu vielen kraftvollen Momenten. Wird Rivera am Ende mit ihrer Familie wieder vereint? Was wird mit Jun Chow inmitten der großen Verschwörung geschehen, die der Film langsam aber sicher andeutet? Und welche Verbindung besteht zwischen Rivera, Ruby und dem exzentrischen Milliardär Chris Roy Jacker (Mathieu Amalric), dem einflussreichsten Mann auf dem Mars? 

Keine Frage, "Mars Express" macht es einem manchmal schwer, vollständig folgen zu können. Aber es ist diese Dichte an Charakteren, Handlung und Weltdesign, die einen die ca. 80 Minuten lang auf seinem Sitz hält, die sich wie ein langsamer und tiefer Sprung vom Rand eines unerforschten Abgrunds anfühlen. Ein Ort, an dem Geheimnisse enthüllt werden und die Charaktere danach streben, die ultimative Antwort zu finden, den Sinn ihres Lebens. Diese einzigartige Atmosphäre wird nicht nur durch ein dichtes Szenario und komplexe Dialoge erreicht, sondern auch durch die faszinierende Filmmusik der französischen Komponisten Fred Avril und Philippe Monthaye. Durch die Mischung elektronischer Musik und typischer Science-Fiction-Atmosphäre erwecken sie dieses technokratische Universum zum Leben, in dem die Menschheit sowohl Herr als auch Sklave ihrer eigenen Entwürfe ist. Und während man von Planetensystemen zu neuen Grenzen reist, füllen die wunderbar ausgewogenen Klangschichten den Raum. Die großartigen Planetenlandschaften, die "Mars Express" bietet, haben etwas von "Interstellar". Anders als bei diesem Film braucht man aber auch etwas Zeit, um sich mit den Charakteren zu identifizieren. Rivera und Ruby sind ein düsteres Duo, aber man ist nicht ganz überzeugt, bis der Film wirklich begann, sich mit ihren Hintergründen zu befassen, insbesondere mit Carlos, der definitiv die interessanteste Figur im Film ist. Und die Tatsache, dass er der Android ist, sagt viel über die zynische Sichtweise aus, die "Mars Express" von Anfang bis Ende antreibt. Während Menschen vielleicht die meiste Zeit im Kino verbringen, wird überdeutlich, dass die Charaktere in "Mars Express", sei es Aline, Jun oder sogar der Milliardär Jacker, in dieser Realität völlig den Halt verloren haben. Ihre von urzeitlichem Überlebenswillen, Fatalismus, Wahnsinn oder sogar purer Verzweiflung getriebenen Handlungen verleihen "Mars Express" einen radikalen, erwachsenen Ton und eine düstere Botschaft. In Périns Universum ist der Mars definitiv das neue Chinatown. Und wie man sich denken kann, ist dies definitiv keine familienfreundliche Buddy-Cop-Komödie. Action-Fans werden in den wundersamen Kampfsequenzen, die zwar selten sind, denen es aber sicher nicht an Intensität mangelt, jedoch einige Leckerbissen finden. Der geneigte Cineast kann zudem leicht die Hommage erkennen, die "Mars Express" beispielsweise Verhoevens satirischem Stil erweist. Und das ist nur einer von vielen Einflüssen, die man beim Stöbern in diesem hinreißenden Film entdecken kann.

Es ist unglaublich schwierig ist, über den Film zu sprechen, ohne zu viel zu verraten. Der Film ist dicht, der Rhythmus ist ungleichmäßig, einigen Charakteren fehlt es vielleicht ein wenig an Tiefe und nicht alle Einstellungen treffen punktgenau. Doch je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr entdeckt man Details und Feinheiten und dieses "Ach ja, da war ja noch..." und man kommt nicht umhin, sich nach den wunderschönen Landschaften zu sehnen und noch tiefer in das Herz der betörenden Dunkelheit einzutauchen. Und diesem Gefühl wird man wahrscheinlich mehr als einmal erliegen.

8/10

Quellen
Inhaltsangabe: Capelight
Poster/Artwork
Capelight

Sonntag, 28. April 2024

[KINO FFFnights] Cenaze - The Funeral (2023)

https://www.imdb.com/title/tt23869968/

Der 40-jährige Cemal (Ahmet Rifat Sungar) ist ein recht einsamer Leichenwagenfahrer. Er erhält einen geheimen Auftrag: Ein junges Mädchen namens Zeynep (Cansu Türedi) wurde brutal ermordet und die Leiche soll ihrer Familie im Osten übergeben werden. Er macht sich auf den Weg. Nachts öffnet er die Hintertüren des Lieferwagens und stellt fest, dass das tote Mädchen seltsam grunzende Geräusche von sich gibt. Als er ihren Puls überprüft, stellt er fest, dass keinen hat. Das schöne lebende tote Mädchen fasziniert ihn und als Cemal sich verliebt, beginnt er, Menschen zu ermorden, um sie zu ernähren. Unterdessen hat die Polizei im ganzen Land eine Jagd auf einen Serienmörder gestartet. Als sie in Kars , dem Zielort, ankommen, erkennt Cemal, dass die "Familie", die auf Zeyneps Leiche wartet, tatsächlich eine gewalttätige Sekte ist. Nun soll mit einem Mitternachtsritual ihr Leichnam verbrannt werden...

Die Story des türkischen Beitrages "Cenaze"/"The Funeral" ist nicht völlig neu, aber auch noch nicht so sehr abgehangen, dass man sich langweilt. Quasi "Liebe auf den ersten Biss". "The Funeral" führt die Zuschauer durch das ländliche Herz der Türkei und folgt dem einsamen Leichenwagenfahrer Cemal (Ahmet Rifat Sungar). Als ihm der Auftrag erteilt wird, die Leiche eines toten Mädchens zu überführen, lehnt er erst einmal ab, lässt sich dann aber schließlich, oh Wunder, oh Wunder, von einer großen Geldsumme überzeugen. (War das nicht schon mal bei "The Vigil" so?) Immerhin scheint die Aufgabe einfach zu sein - bis er herausfindet, dass das Mädchen mit einem Verlangen nach Menschenfleisch ins Leben zurückgekehrt ist. Regisseur Orcun Behrams "The Funeral" ist düster und hoffnungslos. Cemal ist ein Mann, der scheinbar auf sich allein gestellt ist. Keine wahren Freunde, entfremdet von seiner Familie. Er verbringt seine Tage mit Trinken. Existieren, aber nicht leben. Er könnte genauso gut eine der Leichen sein, die er durch die Stadt transportiert. Mit den Augen von Cemal erschafft Behram eine Welt, die ebenso hässlich wie trostlos ist. Von abgelegenen Hotels bis hin zur Leere auf dem Land wird das Publikum durch die trostlosesten Teile der Türkei geführt, wo Armut und Verzweiflung herrschen. All das schafft eine düstere Atmosphäre, die so hartnäckig ist wie die Fäulnis, die sich am Tod erfreut. Der Film mag als "Zombie-Romanze" bezeichnet werden, aber eigentlich ist er alles andere als das. Was der Film ist, ist  eine recht mutige Interpretation des ausgelutschten Zombie-Genres, das sich in das Fleisch von etwas hineinbohrt, das keine Liebe, sondern eine dunkle Obsession ist. "Return Of The Living Dead III" kommt einem in den Sinn, nur dass dies hier kein Teenager-Leidenschaft ist und über allem eine deprimierende Stimmung hängt. 

Die Beziehung, die im Mittelpunkt von "The Funeral" steht, ist ebenso faszinierend wie unangenehm. Als Cemal feststellt, dass der Körper, den er transportiert, tatsächlich noch "lebt", flippt er nicht aus, er scheint nicht einmal sonderlich überrascht zu sein. Stattdessen nimmt er das Mädchen, von dem man erfährt, dass sie Zeynep (Cansu Turedi) heißt, macht sie zurecht, kauft ihr neue Kleidung und setzt sich mit ihr in sein Hotelzimmer. Sie kann nicht sprechen, ist auf ein unheimliches Keuchen reduziert, was zu vielen einseitigen Gesprächen führt. Was folgt, fühlt sich weniger wie eine aufkeimende Romanze an, sondern eher wie eine symbiotische Bindung. Zeynep füllt die Lücke in Cemals Einsamkeit, während er ihr das menschliche Fleisch liefert, nach dem sie sich sehnt (manchmal sein eigenes). Zwei Charaktere nutzen sich gegenseitig aus, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, mit berechtigten Fragen darüber, was sie wirklich füreinander empfinden. Unnötig zu erwähnen, dass "The Funeral" eine Geduldsprobe ist, die fordernde Zuschauer schon früh verlieren könnte.

Ein Vorteil ist aber, dass zwischen den beiden so wenig Verbindung besteht, dass sich das Publikum voll und ganz auf ihre Beziehung einlassen kann. Sungar ist außergewöhnlich darin, einen Mann zu spielen, der von einer inneren Dunkelheit geplagt wird, die er scheinbar nicht versteht, und Turedi stiehlt immer wieder die Show mit einer gruseligen Darbietung, die den Zuschauern Gänsehaut bereiten kann. Dennoch herrscht zwischen den Charakteren wenig Chemie. Zwischen ihnen herrscht eine erstickende Kälte, und vielleicht ist das auch die Absicht. Schließlich hat Cemal Zeynep mehr oder weniger entführt und sie gezwungen, mit ihm "zusammen zu sein" - was sich wie ein Fingerzeig zur Besessenheit der Männer aus Besitz einer Partnerin und dem unersättlichen Hunger nach Lust, Liebe, was auch immer der Fall sein mag, anfühlt. Aber ohne eine vorherige Beziehung oder ein Gefühl dafür, warum Cemal so plötzlich sein gesamtes Leben diesem untoten Mädchen anvertraut, wirken Momente, in denen er ihr erlaubt, sich von ihm und dergleichen zu ernähren, eher albern als nachvollziehbar. Erschwerend kommt hinzu, dass, sobald man die Kuriosität hinter sich gelassen hat, die eisige Luft, die zwischen den beiden hängt, für ein eintöniges Erlebnis sorgt, welches man nur schwer akzeptieren kann. Auch die Tristesse des Ganzen tut dem Film auch keinen Gefallen. "The Funeral" ist so düster, dass es für das Publikum fast überwältigend wird. Etwas subtiler Humor wie Cemal, der bei hellem Tageslicht blutige Körper ins Freie schleppt, als würde ihn niemand sehen, bietet ab und zu ein Lachen und weitere Einblicke in seine Wahnvorstellungen, aber diese Momente sind rar gesät. Behrams Film passt zur Atmosphäre der Beziehung zwischen Cemal und Zeynep, so ruhig, dass sie genauso gut tot sein könnte. Ein Tempo, das wie die Untoten dahinschlurft, trägt wenig dazu bei, das Publikum in seinen Bann zu ziehen, ungeachtet einiger Momente brodelnder Spannung und alptraumhaften Horrors (ein Dankeschön an das Produktionsdesign-Team für die Gestaltung des Flurs aus der Hölle). Natürlich ist der allzu grüblerische Charakter gewollt. Wie sehr "The Funeral" einem also gefällt, hängt von der Geduld ab, die man bereit sind, dafür aufzubringen.

5,5/10

Quellen:
Inhaltsangabe: Solis Film
Poster/Artwork: Solis Film/Reel Suspects

[KINO FFFnights] Late Night With The Devil (2023)

https://www.imdb.com/title/tt14966898/

Jack Delroy (David Dastmalchian) ist Moderator einer fiktiven Varieté- und Late-Night-Talkshow aus den 1970er Jahren mit dem Titel "Night Owls with Jack Delroy". Während einer Livesendung bricht Chaos aus, als Delroy die Parapsychologin June Ross-Mitchell (Laura Gordon) und das Thema ihres jüngsten Buches interviewt, die Teenagerin Lilly D'Abo (Ingrid Torelli), die als einzige den Massenselbstmord einer satanischen Kirche überlebt hat.

"Late Night With The Devil" ist ein überaus effektiver Horror der seltenen Art von dem man sich wünschte, man hätte ihn nach der Hälfte der Vorführung auf seinem eigenen Fernseher gesehen. Nicht, weil der Film im Kino nicht funktioniert - Horror hat fast immer Vorteile, wenn man es in einer Menschenmenge sieht -, sondern weil sein Autoren-Regisseur-Duo, die Brüder Colin und Cameron Cairnes, einige der einzigartig gruseligen Dinge des Fernsehens geschickt ausnutzt - vor allem seine Intimität. Es ist doch so: der heimische TV-Apparat steht ein paar Meter entfernt, und besonders in den frühen Nachtstunden kann sich das, was man anstarrt, unheimlich oder unverschämt anfühlen. Mit der Zeit wird der Late-Night-TV-Moderator zu dem besten Freund oder zu einer Figur, die einen in unruhigen Träumen verfolgt. Das ist natürlich auch der Grund, warum Menschen bis spät in die Nacht fernsehen: um sich unterhalten zu lassen, wenn der Rest der Welt zu Bett geht. "Late Night With The Devil" verdreht diese Kameradschaft und überlagert sie mit bekannten Horrormelodien der 1970er Jahre über dämonische Besessenheit, Satanismus und Okkultismus. Das Ergebnis ist eine böse und köstliche, kompromisslose Mischung mit einem Gespür für Angst.

Der Moderator der im Film erfundenen Late-Night-Talk- und Varieté-Show ist Jack Delroy (David Dastmalchian), ein jüngerer, flotterer Johnny Carson, der unbedingt an die Spitze der Einschaltquoten klettern will. Der als Found Footage in einer Pseudodokumentation verpackte Film informiert kurz über Delroys Karriere als Moderator von "Night Owls With Jack Delroy", einer Show, die ihre Konkurrenten nicht ganz überholen kann. Während die Erzählung uns darüber informiert, dass Delroy Gefahr läuft, als Nebendarsteller in die Geschichte einzugehen - immer für den Emmy nominiert, nie als Gewinner - erfährt man, dass man sich gleich den Abend ansehen wird, der "eine Nation schockierte". In der Halloween-Nacht 1977, dem ersten der entscheidenden Woche für "Night Owls", kommen Delroy und seine Produzenten auf eine verzweifelte, letzte verzweifelte Idee, um die Einschaltquoten in die Höhe zu treiben: Sie entwerfen eine Show voller Spektakel, die den kulturellen Hype ankurbeln wird für alles Okkulte. Auf der Gästeliste an diesem Abend stehen ein Medium und ein Skeptiker sowie ein Parapsychologe und das Mädchen, das sie wegen dämonischer Besessenheit behandelt. Die Bänder wurden gefunden, teilt der Erzähler mit, und sie werden sie gleich zeigen. Anschnallen.

Alle diese Charaktere kommen einem seltsamerweise bekannt vor. Da ist zum einen Christou (Fayssal Bazzi), der mit den Toten sprechen kann; Carmichael Haig (Ian Bliss) ist der aggressive Skeptiker des Films; June Ross-Mitchell, eine Parapsychologin, gespielt von Laura Gordon, deren Auftritt Verletzlichkeit und Überzeugung in einem fruchtbaren Gegengewicht zu manchen Lagern vereint. Sie wird von ihrem Schützling Lilly (Ingrid Torelli) begleitet, deren schwankender Wechsel zwischen starrem und lebhaftem Blick teuflisch beunruhigend ist. (Wenn es beim Horror eine Regel gibt, dann die, dass es nichts Gruseligeres gibt als ein kleines Mädchen.) Der Film bewegt sich geduldig langsam aber zielstrebig und entfaltet sich im Tempo einer "Night Owls"-Folge. Das ist gut. Man ist gezwungen, alles in Echtzeit zu sehen, genau wie das Publikum zu Hause es getan hätte, was den Zuschauer mehr oder weniger in die Menschen von 1977 verwandelt, auf der Couch sitzend entsetzt über das, was sich im Live-Fernsehen abspielt. Irgendwann wird man in die ganze Illusion hineingezogen, ein Effekt, den man sich nur vorstellen kann und der sicher noch verstärkt wird, wenn man das Ganze auf seinem tatsächlichen Fernseher beobachtet. Man sieht sich keinen Film mehr an; Für ein paar Minuten ist man ein Teil davon.

All dies wäre völlig reibungslos verlaufen, wenn es nicht eine enttäuschende formale Entscheidung gegeben hätte. Dem Zuschauer wurde gesagt, dass das Band, das man gleich ansieht, von bisher unveröffentlichtem Backstage-Material begleitet sein wird, das während der Werbepausen aufgenommen wurde. Auch wenn es vielleicht interessant gewesen wäre, diese Szenen wegzulassen, macht es doch Sinn, dass sie da sind - es verhindert, dass der Film zu abstrakt wird, indem sie darüber informieren, was tatsächlich zwischen den Abschnitten passiert. Allerdings wird das "Filmmaterial" in einem traditionelleren Shot-/Reverse-Shot-Format gedreht, wie es bei jedem Film der Fall sein könnte, was seltsamerweise im Widerspruch zu der Vorstellung steht, dass irgendein abtrünniger Kameramann einfach hinter der Bühne herumlungerte und versehentlich Filmmaterial aufnahm. Stattdessen wirkt es wie ein Drehbuch, als wären Filmemacher anwesend, um die sich ausbreitende Panik zu dokumentieren. Ein handlicherer Ansatz mit nur einer Kamera hätte möglicherweise dazu beigetragen, die Illusion des Films aufrechtzuerhalten - und alles viel gruseliger zu machen. 

Aber das ist vom Schema der Story her relativ unbedeutend. "Late Night With The Devil" spiegelt etwas wider, das in Filmen oft erforscht wurde - die seltsam mulmige gegenseitige Abhängigkeit des Live-TV-Moderators und des Publikums. Und unterm Strich kann man dann ohne Umschweife sagen, dass "Late Night With The Devil" ein teuflisch guter Spaß ist.

8,5/10

Quellen:
Inhaltsangabe: Capelight
Poster/ArtworkWild Bunch

[KINO FFFnights] 콘크리트 유토피아 - Konkeuriteu Yutopia - Concrete Utopia (2023)

https://www.imdb.com/title/tt13086266/

Seoul wird über Nacht von einem schweren Erdbeben verwüstet. Alles ist zerstört und nur ein einziger Ort ist noch vollständig intakt: die "Hwang Gung Apartments" (Imperial Palace Apartments). Deren Bewohner beginnen sich bedroht zu fühlen, da Überlebende, die von diesem Zufluchtsort gehört haben, beginnen, in die Wohnungen strömen. Sie vereinen sich zum Überleben, und mit einem neuen Anführer der Anwohner, Yeong-tak (Lee Byung-hun), schaffen sie neue Regeln für die Anwohner und verhindern den Zutritt für Außenstehende. Dadurch bleiben die utopischen Wohnungen im Gegensatz zur höllischen Welt draußen sicher und friedlich. Doch in einer schier endlosen Überlebenskrise beginnt jedoch bald ein unerwarteter Konflikt zwischen ihnen...

95% aller Filme, die dem Zuschauer eine Moral vermitteln (manchmal aufzwängen) wollen sind von einer eindringlichen Zweideutigkeit geprägt. Selten hingegen ist, wenn in einem Genrefilm eine moralische Ambiguität zu sehen ist. "Concrete Utopia", ein dystopischer Katastrophenfilm der besonderen Art, ist letzterer. Der südkoreanische Beitrag und Anwärter für die Oscars 2024 für den besten internationalen Spielfilm versetzt seine Charaktere in eine verzweifelte, beängstigende Situation, in der es um Leben und Tod geht, und weigert sich dann, dem Publikum zu sagen, was er über sie denken soll. Es ist ein zerstrittenes, blutgetränktes Drama über den Willen zum Überleben, das sich wie eine Mischung aus "Erdbeben" und "Herr der Fliegen" anfühlt. Das Faszinierende ist, dass man sich den Film ansieht und denkt: "Wenn ich in diesem Film wäre, was würde ich tun?"

Regisseur Um Tae-hwa beginnt mit einer dokumentarischen Montage hoch aufragender rechteckiger Wohngebäude in Seoul, während ein Nachrichtensprecher im Vorbeifahren darüber nachdenkt, wie das Wohnen in Wohnungen die südkoreanische Gesellschaft verändert hat. Wohnungen, so wird dem Zuschauer erzählt, waren einst Mittel zum Zweck, um ein größeres Zuhause zu bekommen. Mittlerweile sind sie ein reiner Selbstzweck und werden von den Bürgern begehrt, die im Rahmen von Lotterien um den Kauf konkurrieren. Der Titel des Films bezieht sich auf das Stadtbild Seouls mit seinen Wohnkomplexen, die wie Reihen von Bauklötzen in die Höhe ragen. Es bezieht sich aber auch darauf, was passiert, wenn nur noch einer von ihnen übrig bleibt.

Ein Erdbeben trifft die Stadt und die Bilder sind so gewalttätig und aufgewühlt, dass man fast erwarten, könnte, dass jederzeit ein Kaiju aus dem Boden auftaucht. Die gesamte Stadt hat sich schnell in rauchende Ruinen verwandelt, und es ist mehr als eine städtische Katastrophe - eher ein apokalyptisches Ereignis. Seoul ist zerstört, und vielleicht auch der Rest Südkoreas. (Regierung? Medien? Alles weg.) Was wir sehen, ist ein Ödland, das mit digitalen Bildern und fantastischen Kulissen gerendert wurde: riesige Trümmerberge, Betonmauern mit herausstehenden Drähten, Leichen und Schutt - eine Stadt, die von Grund auf umgekrempelt wurde. Doch inmitten der surrealen Trostlosigkeit geschieht etwas Ungewöhnliches. Mitten in Seoul steht noch ein einzelner Apartmentkomplex - einer der neuen gehobenen Bienenstöcke. Es heißt "Hwang Gung Apartments" und sieht aus wie ein riesiges Hotel mit zwei 30-stöckigen rechteckigen Flügeln, die sich in der Mitte in einem kreisförmigen Drehpunkt treffen. Die Wohnungen selbst sind bescheiden, aber relativ geräumig. Es ist die Art von Ort, den die Bewohner als Zufluchtsort betrachten, und jetzt ist er es wirklich. Es ist das Rettungsboot, auf dem sie sich befinden, ihr Zufluchtsort vor einer Katastrophe. Und man könnte den Apartmentkomplex wie David Cronenberg in "Parasiten-Mörder" betrachten - als einen leicht bedrohlichen und trügerischen Kokon.

In den ersten Szenen, die kurz nach dem Erdbeben spielen, besteht der natürliche Impuls aller darin, andere Menschen in den Komplex zu lassen und ihnen zu helfen. Aber es gibt nicht genügend Ressourcen. (Die Stadt ist voller umherziehender Flüchtlinge.) Also halten die Bewohner ein Treffen ab und streben eine Entscheidung an, die auf reinem Überleben basiert und auch auf der Art von Klassenprivilegien, die wir in den Filmen seit langem als korrupt ablehnen. Sie lassen keine Außenstehenden herein. Nur wer eine Wohnung besitzt, darf bleiben. Zuerst denkt man: "Wie unmenschlich." Dennoch gibt es eine grundlegende moralische Logik am Werk. Wenn die Bewohner den Komplex in eine Festung verwandeln, dort Zuflucht suchen, sich auf die Suche nach Nahrung begeben (sie suchen nach Vorräten, die in den Trümmern vergraben sind) und jeden Außenstehenden als "Kakerlake" behandeln, die gemieden werden muss, werden sie leben. Wenn sie es nicht tun und die Außenstehenden wie Zombies in einem Zombiefilm hereinströmen, wird es Chaos geben und niemand wird überleben.

Und weil dahinter eine moralische Logik steckt, leben die Bewohner mehr als nur danach. Sie machen daraus einen Code, ein Glaubenssystem, eine Art Kult. Sie wählen einen Anführer, Kim Young-tak (Lee Byung-hun), der irgendwann in wahnsinniger Wut einen Brand im Erdgeschoss löscht (das ist die Grundlage seines vermeintlichen Heldentums), und er nimmt die Gelegenheit wahr, seine Mitmenschen zu einer bunt zusammengewürfelten Überlebensmacht zu organisieren. Er wird als der Delegierte bekannt und strahlt einen sehnigen Hunger aus, der an Willem Dafoe erinnert - und eine dürre Herrschsucht, die einen an Elon Musk denken lässt. Er erhebt die "Wir zuerst"-Methodik der Wohnungsbewohner zu einem Glaubensbekenntnis und führt sie in einen rituellen Gesang und in nächtliche Karaoke-Partys bei Feuerschein. Im Rückblick sieht der Zuschauer jedoch die gewalttätige Hintergrundgeschichte von Kim Young-tak, die ihn zu einem noch zwiespältigeren Charakter macht. Es genügt zu sagen, dass er ein Identitätsdieb ist, dem seine Wohnung nicht wirklich gehört. Das Mitgefühl gilt daher weiterhin den beiden anderen Hauptfiguren des Films, Min-sung (Park Seo-joon) und Myung-hwa (Park Bo-young), einem sanften Paar mit wohlwollenden Impulsen; Er ist ein Beamter, sie ist eine Krankenschwester, die von stillem Einfühlungsvermögen geprägt ist. Aber "Concrete Utopia" ist wie "Herr der Fliegen" eine Parabel darüber, wie Empathie zerstört wird.

Letztendlich ist es auch ein Film über das Urbedürfnis und die Bedeutung von Heimat. Der Film ist eine Allegorie des heutigen Südkoreas (und vielleicht auch vieler anderer Orte), in dem es immer schwieriger wird, ein Zuhause zu finden. Doch das ist das Perverse an "Concrete Utopia", einem Film, der die schwankende, raue Form eines Katastrophenfilms nutzt, ist zu fragen, was einem ein Zuhause wert ist.

9/10

Quellen:
Inhaltsangabe: Lotte Entertainment
Poster/Artwork: Lotte Entertainment

[KINO FFFnights] Boy Kills World (2023)

https://www.imdb.com/title/tt13923084/

In einer dystopischen Zukunft wird die Welt von der Diktatorin Hilda van der Koy (Famke Janssen) regiert. Sie hat eine Tradition ins Leben gerufen, bei der jedes Jahr auf Neue bei einer Veranstaltung mit dem Titel "The Culling" politisch aufsässige Bürger auf Leben und Tod in Gladiatorenkämpfe geschickt werden, die das Volk im Fernsehen verfolgen kann. In einem Jahr werden eine Mutter und ihre Tochter Mina für die Kämpfe ausgewählt und getötet. Zurück bleibt deren Bruder, dem Hilda van der Koys Leute die Zunge herausschnitten und sein Trommelfell zerstörten. Ein Schamane (Yayan Ruhian) nimmt den stummen und gehörlosen Waisenjungen daraufhin unter seine Fittiche und nennt ihn einfach Boy (Bill Skarsgård). Er wird sein Mentor, zieht ihn im Dschungel groß und trainiert ihn in Kampfkünsten. Jahre später ist aus Boy ein junger Mann geworden, von seiner Physis her zwar leicht zu unterschätzen, eigentlich jedoch eine wahre Kampfmaschine, zu der ihn der Schamane geformt hat, zu einem einzigen Zweck, Hilda van der Koy zu töten. Zur anstehenden jährlichen Veranstaltung begeben sie sich gemeinsam in die Stadt, wo sich Boy zwei Männern namens Basho (Andrew Koji) und Benny (Isaiah Mustafa) anschließt, die Teil des Widerstandes sind. Gemeinsam schwören sie, das gesamte Establishment zu Fall zu bringen, selbst wenn es sie das eigene Leben kosten sollte. Und um an Hilda van der Koy heranzukommen, muss Boy eine ganze Armee von ihren Handlangern ausschalten, darunter June 27, Hildas Geschwister Gideon und Melanie sowie deren Ehemann Glen...

In einer Kinolandschaft, die auf bewährten Formeln basiert, wagt Moritz Mohrs "Boy Kills World" anders zu sein und verwischt die Grenzen zwischen Absurdität und adrenalingeladener Action. Dieses von Tyler Burton Smith und Arend Remmers geschriebene kühne Unterfangen ist von einer dystopischen Kulisse umgeben und spielt nach seinen eigenen Regeln. Hier trifft das Chaos auf Komik , und blutige Morde sind an der Tagesordnung. Vor allem die erzählerische Wendung macht sprachlos. Es erinnert an die unerwarteten Wendungen einer Achterbahnfahrt - man sieht es kommen, kann es aber nicht ganz glauben, bis es direkt vor einem liegt. Remmers und Smith widersetzen sich den Erwartungen und untergraben die vorgefassten Meinungen des Publikums auf schockierende Weise. Dennoch ist der Film nicht ohne Fehler. Die Gesamtgeschichte ist zwar fesselnd, wirft aber dennoch etwas Rätselhaftes auf, da ich die Charakterisierung des Schamanen in Frage stellte: Warum wird er als Feind dargestellt? Bei der Darstellung handelt es sich um eine erzählerische Diskrepanz, und der Film möchte, dass man sich an die Charaktere erinnert, die das Drama überhaupt erst begonnen haben. 

Die Kampfszenen sind ein Bereich, in dem "Boy Kills World" von etwas mehr Stabilität hätte profitieren können. Mohrs Einsatz einer verwackelten Kamera in Verbindung mit häufigen Schnitten verwischt die möglicherweise spannende Choreografie. Anstatt mitten ins Geschehen hineingezogen zu werden, ertappt man sich dabei, wie man die Augen zusammenkneift und darum kämpft, angesichts des ganzen Chaos zu entschlüsseln, was vor sich geht. Aber die Albernheit des Ganzen überspielt das ganze Geschehen etwas, sodass man sich gut darauf einlassen kann. Er gibt nicht vor, mehr als ein lautes, unterhaltsames Spektakel zu sein. Was die Darbietungen angeht, so verleiht Skarsgård mit seinem charakteristischen Grinsen seiner Rolle einen gewissen Charme, aber Ruhian stiehlt allen die Show. Zu sehen, wie sich dieses kleine Kraftpaket mit Giganten messen und Schlag für Schlag austeilen kann, bestärkt den Eindruck, dass Ruhian langsam aber sicher seine Position als aufstrebender Actionstar in Hollywood festigt. Seine Bandbreite und Kraft in Actionsequenzen sind lobenswert, auch wenn ihm der Schnitt des Films nicht immer gerecht wird.

"Boy Kills World" springt zwischen aufregend und verwirrend hin und her. Trotz all seiner narrativen Probleme bleibt es ein lebendiges Spektakel, das in seinem genreübergreifenden Chaos schwelgt. Dieses filmische Unterfangen beweist, dass es trotz seiner Unvollkommenheiten unterhalten kann. Für diejenigen, die auf der Suche nach einem kompromisslos mutigen Actionfilm mit einem Hauch von Komödie sind, ist dieser Film genau das Richtige. In der riesigen Welt des Actionkinos ist dies eine unebene Fahrt, die meist funktioniert, wenn man ihre Ungereimtheiten überwindet.

6/10

Quellen:
Inhaltsangabe: Constantin
Poster/Artwork: Ventaro Film

[KINO FFFnights] La Morsure - Bitten (2023)

https://www.imdb.com/title/tt26245650/

Françoise (Léonie Dahan-Lamort) und Delphine (Lilith Grasmug), zwei siebzehnjährige Mädchen in einem französischen katholischen Internat aus den 1960er-Jahren, sind beste Freundinnen, die alles teilen, aber nicht alles gemeinsam haben: Françoise kommt aus wohlhabenden Verhältnissen, während Delphine die Schule besucht, weil ihr Vater der Hausmeister ist. Doch Françoise ist sich gewiss: Diese Nacht wird ihre letzte sein. Zu sehr haben sich die albtraumhaften Vorzeichen für ihren Tod gemehrt. Wild entschlossen, ihre letzten verbleibenden Stunden in vollen Zügen zu genießen, flüchtet sie mit einer Freundin aus dem strengen Klosterinternat. Die Teenagerinnen haben von einem rauschhaften Fest in einem Anwesen mitten in den Wäldern gehört. Dort trifft die temperamentvolle, überdrehte Françoise auf ihre erste Liebe: den jungen Vampir Christophe...

Die Geschichte von "Bitten" spielt zwischen der Fastenzeit und dem Karneval. Während die im Internat unterrichtenden Nonnen die Bedeutung des ersteren betonen, konzentrieren sich die Gedanken der Schüler eher auf den letzteren. Am Karnevalsabend findet eine Kostümparty statt, die von der Gruppe Jungen organisiert wird, mit denen die Schülerinnen jedes Mal flirten, wenn sie am Schultor vorbeikommen. Diese Tore trennen sie tagsüber physisch und symbolisch, aber in dieser Nacht, als Dämonen verkleidet im "lieu-dit des anges" (dem "Engelsdorf", in dem die Party stattfindet), kann nichts Mädchen und Jungen voneinander trennen. Doch zwei Hindernisse versperren Françoise den Weg zur Party: die offensichtliche Abneigung der Lehrer, die Internatsschüler herauszulassen, und ein lebhafter Albtraum aus der Nacht zuvor, in der sie bei einem Brand ums Leben kam.

Beide Hindernisse bescheren dem ersten Akt des Films seine eindrucksvollsten Szenen. Die alptraumhafte Vision von Françoise, die in den ersten Minuten gezeigt wird, leitet sofort den erzählerischen Antrieb des Films ein (Françoise ist davon überzeugt, dass sie weniger als vierundzwanzig Stunden zu leben hat und das Beste daraus machen will) sowie seinen Bildstil. Die Kinematographie und die Textur des Bildes schaffen eine bezaubernde Mischung aus Gothic-Horror und Giallo. Das von den Nonnen verhängte Ausgehverbot für Jugendliche wird von Françoise im wahrsten Sinne des Wortes gebrochen, als sie aus der Krankenstation entkommt, indem sie eine Skulptur der Jungfrau Maria durch ein Fenster wirft. Die überschwängliche Symbolik der Szene wird vervollständigt, als die junge Frau den ganzen Raum mit rotem Antiseptikum bespritzt, das eindeutig wie gotteslästerliches Blut aussieht.

Sobald Françoise und ihre Freundin Delphine von den Zwängen der Religion befreit sind und die Nacht über tun und lassen können, was sie wollen, verliert "Bitten" aber etwas an Biss. Es gibt keine Feinde mehr, denen man widerstehen muss, daher kann in dieser Nacht der Fantasie alles (sogar okkulte Rituale und satanische Manifestationen) zum Spiel werden - schließlich ist das die wahre Funktion des Karnevals. Dennoch drückt "Bitten" dank des Talents seiner Darsteller und seiner spektakulären Bilder in Licht und Schatten viel mehr durch seine Bilder aus als das, was er bis zum Ende durch seine Geschichte erzählt. Die symbolhafte Kraft des Films bleibt größer als seine erzählerische, und der Geist von Françoise bleibt dem Zuschauer noch lange nach dem Ende ihrer seltsamen und wilden Nacht erhalten.

6,5/10

Quellen
Inhaltsangabe: Films Boutique
Poster/ArtworkFilms Boutique

Samstag, 27. April 2024

[KINO FFFnights] Suitable Flesh (2023)

https://www.imdb.com/title/tt21397580/

Die Psychiaterin Dr. Elizabeth Derby (Heather Graham) ist besessen davon, ihrem jungen, rätselhaften Patientin Asa (Judah Lewis) zu helfen. Da hilft es nicht, dass sie sich außerdem noch auf Asa ein wenig zu sehr einlässt. Asa leidet an einer extremen Form multipler Persönlichkeitsstörung, welche laut Elizabeth auf seinen besitzergreifenden Vater Ephraim (Bruce Davison) zurückzuführen sein könnte. Doch die Wahrheit ist viel seltsamer und tödlicher, da Ephraim tatsächlich von einem bösen Wesen besessen ist, das es ihm ermöglicht, in den Körper seines Sohnes zu wechseln. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, Elizabeth zu nutzen, um seine Wesen am Leben zu erhalten. Und Elizabeths langjährige Freundin und Kollegin, Dr. Dani Upton (Barbara Crampton), könnte die einzige Hoffnung sein, ihre Seele zu retten...

"Suitable Flesh" ist eine vermutlich letzte Hommage an den im Jahr 2020 verstorbenen Gernespezialisten Stuart Gordon, der sicherlich vermisst wird, insbesondere nachdem man sich dieses kitschige Werk angesehen hat, das sein geliebtes H.P. Lovecraft-Territorium, nämlich groteske Horrorinhalte verbunden mit einem düster-komödiantischen Ton, aufleben lässt. In der sehr lockeren Interpretation der weniger beachteten Kurzgeschichte des Kult-Autors aus dem Jahr 1937 "The Thing On The Doorstep" ("Das Ding an der Schwelle") des Drehbuch-Autoren Dennis Paoli gibt es einiges an blutigen Ekeligkeiten zu sehen. Doch Regisseur Joe Lynch inszeniert einen Großteil dieser übernatürlichen Geschichte unglücklicherweise als Erotikthriller mit einigen unausgereiften Softcore-Albernheiten, und die Unsicherheit der satirischen Absicht lässt seine Schauspieler so manches Mal richtiggehend albern aussehen.

Es ist zwar der Sex, der "Suitable Flesh" hervorhebt, doch dieser gipfelt in einem eher banalen Gefühl versauter Hingabe und etwas offensichtlichen Body-Double-Einsätzen für die Nacktszenen. Das stöhnende Saxophon von Steve Moores Fußgängerzonenmusik, Vorhänge wehen in einer heißen Sommernacht, die obligatorischen Aufnahmen rotierender Ventilatorflügel an der Decke und das langweilige Produktionsdesign von Lily Bolles schwächen leider die makabren Elemente dieser Geschichte ab und verstärken gleichzeitig ihre kitschige Erotik-B-Movie-Niveau der 90er Jahre. Trotz einer sehr spielstarken Darbietung von Heather Graham und dieser eher weniger amüsanter Erotikthriller-Manierismen weiß man nicht so genau, worauf der Regisseur hier eigentlich hinaus will. Das Drehbuch mag dies alles durchaus als ironische Absicht verstehen, aber Lynchs unfeiner Umgang ist eher von schwerfälligen Klischees unterworfen als ironisch verspielt. Seine Schauspieler werden bis zum Äußersten abgehangen und überzeugen weder in dieser knisternden Szenerie noch in ihren eskalierenden multiplen Persönlichkeitsdarbietungen, während der böse Geist zwischen verschiedenen Körpern hin- und herspringt. Graham spielt dabei die etwas unglaubwürdige Psychiaterin Dr. Elizabeth Derby, die beruflich erfüllt und glücklich mit dem hingebungsvollen, gutaussehenden Mann mittleren Alters Edward (Johnathon Schaech) verheiratet ist, der ihr abends Seebarsch zubereitet und viel Zeit mit freiem Oberkörper verbringt. Eines Nachmittags muss Dr. Derby einen verstörten jungen Mann namens Asa (Judah Lewis) behandeln, der offenbar an einer multipler Persönlichkeitsstörung leidet. Doch in Wirklichkeit ist er wirklich von einem bösartigen Dämon besessen, unter dessen Kontrolle es Asa gelingt, Dr. Derby zu verführen und dann beim Sex in ihren Körper einzudringen. Diese verrückten Körperwechselübergänge werden dadurch signalisiert, dass die beteiligten Personen viel zittern und plappern, und Graham spielt in den folgenden Szenen häufig die Rolle einer Person, die die Augen verdreht und an die Dämonen in "Der Exorzist" erinnert. Die Teile der Geschichte, in denen es um Asas Vater (Bruce Davison) geht, dessen Charakter der Auslöser der ganzen Geschichte ist, wirken aufgesetzt und ein wenig befremdlich und, ganz vorsichtig gesagt, lässt sich die darin enthaltene Komödie wahrscheinlich am besten als halbabsichtlich beschreiben.

Wenn Lynch nach etwa 75 Minuten zur Rahmenhandlung zurückkehrt, peitscht sich die gegenwärtige Handlung in der medizinischen Einrichtung der Protagonisten tatsächlich in einen schwindelerregenden Schaum aus blutigen, identitätsverändernden Exzessen. Dennoch ist es frustrierend, dass der Film nicht noch mehr aus diesem bizarren Höhepunkt herausholt; Lynch fehlt das Gespür für eine übertriebene und dennoch prägnante Inszenierung und Tonalität, die Gordon in seinen eigenen Lovecraft-Filmen, insbesondere "Re-Animator" und "From Beyond" so perfekt wie bizarr auslebte. Dieses Projekt stellt trotzdem so etwas wie ein Wiedersehen der Macher dieser Filme dar, an denen auch Paoli, Crampton und der Produzent Brian Yuzna auffällig oft beteiligt waren. Doch auch wenn der Geist Willens war, reicht das zur Verfügung stehende Können nicht aus, um den einzigartigen und extravaganten Tenor dieser Kultklassiker wiederzubeleben. Die Darsteller werden auf Karikaturen reduziert, und der Grad des nachweislich absichtlichen Humors wird leider auch noch durch die Verwendung der Musik im Abspann zunichte gemacht. Ebenso werden die eher halluzinatorischen Aspekte der Geschichte durch so anstrengende, aber einfallslose Geräte wie die Kamera von David Matthews realisiert, die sich wie ein Windrad um 360 Grad dreht. An Anstrengung mangelt es hier nicht, aber allzu oft fühlt sich "Suitable Flesh" einfach nur anstrengend an. "Suitable Flesh" ist daher ein Film, den man letztlich als das betrachten sollte, was er ist: ein mäßig-unterhaltsamer Horrorstreifen, der vielleicht mehr unbeabsichtigte Lacher hervorrufen könnte, als vielleicht ursprünglich geplant.

5,5/10

Quellen:
Inhaltsangabe: RLJE Films
Poster/Artwork: RLJE Films/Shudder