Donnerstag, 9. Januar 2025

Joker: Folie à Deux (2024)

https://www.imdb.com/de/title/tt11315808/

Nach der eskalierten Gewaltspirale mit ihm im Zentrum ist Arthur Fleck alias Joker (Joaquin Phoenix) im Arkham State Hospital, einer psychiatrischen Anstalt für die schlimmsten Verbrecher von Gotham City, gelandet. Dort sitzt er nun seine Zeit ab, bis der Prozess gegen ihn vor Gericht eröffnet wird. Seine Anwältin (Catherine Keener) bemüht sich darum, ihren Fall rund um die vermeintlich gespaltene Persönlichkeit ihres Mandanten aufzubauen, um ihn für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. In der Zwischenzeit bekommt Arthur wegen guter Führung die Möglichkeit, in Arkham an einem Musikprogramm teilzunehmen, wo er die rebellische Lee (Lady Gaga) kennen und lieben lernt. Während sich die beiden gemeinsam in musikalische Fantasien flüchten, motiviert sie ihn, seine Joker-Persona wieder voll und ganz nach außen zu kehren – mit verheerenden Folgen...

Eines gleich vorneweg: Wer der Ansicht ist, hier eine nahtlose Fortsetzung des zweifach Oscarprämierten Films von 2019 zu erhalten, wird bitter enttäuscht werden. Der Titel des Films "Folie à deux" bedeutet übersetzt so viel wie "Wahnsinn zu zweit" und ist Ausdruck für eine psychotische Störung, bei der sich nahestehende Personen gemeinsame, wahnhafte Vorstellungen entwickeln. Es ist aber - nach der Ansicht des Autors - genau dieser Wahnsinn, der dieser Fortsetzung genau das verleiht, was einen Joker ausmacht: völlige Abdriften in eine eigene Welt. 

Man darf sich aber durchaus die Frage stellen, ob Regisseur Todd Phillips den Zuschauer veräppeln will. Für die Fortsetzung seines umstrittenen, aber überaus erfolgreichen "Joker" reißt Phillips die Formel über den Haufen. Der düstere Elan von Jokers "Making of a Murder"-Erzählung und die darauffolgende extravagant gewalttätige Verbrechensserie werden durch zwei Stunden und 20 Minuten einer Mischung aus Musical-Romanze und Gerichtsdrama ersetzt. Ach ja, und es gibt auch einen animierten Prolog im Stil von Looney Tunes, der von Sylvain Chomet geschaffen wurde. Die Einflüsse des ersten Films werden weitgehend verworfen. "Joker: Folie à Deux", in dem Lady Gaga neben dem wiederkehrenden Star Joaquin Phoenix zu sehen ist, greift stattdessen auf Filme wie Francis Ford Coppolas "One From The Heart" und Scorseses "New York, New York" zurück – beides Musicals und, das sei erwähnt, beide notorische Flops.

Es ist eine mutige, wenn auch möglicherweise unkommerzielle Entscheidung: Das Comic-Musical ist aus gutem Grund ein unterbevölkertes Genre. Comic-Musicals, in denen einer der Hauptdarsteller kaum den Ton halten kann (Phoenix’ Joker singt auf die gleiche Weise, wie er lacht, sehnig, angestrengt und schmerzhaft, als würde ihm jeder Ton aus dem Leib getreten), sind ein noch selteneres Wesen. Aber während das Gesangs- und Tanzelement für einige der bestehenden Fans des ersten Films ein Stolperstein sein könnte, ist es hier nicht das Hauptproblem. Trotz aller üblichen Angriffe auf klassische Songs ("Bewitched", "Bothered And Bewildered" wird besonders unsensibel verrissen) funktioniert die Idee eines Musicals als Wahnvorstellung eines gebrochenen Geistes manchmal recht gut. Das Problem ist, dass es trotz aller kühnen Änderungen im Ansatz hier sehr wenig Neues gibt. Wie der erste Film wird "Joker: Folie à Deux" fast vollständig aus der Perspektive von Joker/Arthur Fleck erzählt; er teilt das gleiche selbstmitleidige Mitgefühl für die Incels und das gleiche Gefühl gesellschaftlicher Ungerechtigkeit. Und während der Titel einen doppelten Fokus und frisches Blut in Form von Gagas Lee Quinzel zu versprechen scheint, ist sie in der Praxis eine Nebenfigur, die so gut wie keine eigene Leinwandzeit bekommt und unter einem dünnen Drehbuch und oberflächlicher Charakterisierung leidet. Dass Lees Szenen trotz alledem elektrisierend sind und sie jeden Satz wie einen Faustschlag landet, ist ein Beweis für Gagas Charisma und Starqualität.

Die Fortsetzung spielt kurz nach den Ereignissen des ersten Films. Arthur Fleck wird im Arkham Asylum für kriminell Geisteskranke eingesperrt. Es ist genug Zeit vergangen, damit sich Joker von einem gegenkulturellen Antihelden zu einem popkulturellen Phänomen entwickeln konnte, aber die Narben, die seine Taten in Gotham hinterlassen haben, sind noch frisch. Über sein Leben und seine Verbrechen wurde ein ausbeuterischer Fernsehfilm gedreht; der Zeichentrickfilm, der den Film eröffnet (mit dem Titel Ich und mein Schatten") frischt nicht nur die Erinnerung an die im Fernsehen übertragenen Ereignisse der Murray Franklin Show auf, sondern führt auch ein Schlüsselthema in die Fortsetzung ein. Das "deux" des Titels, so wird klar, handelt ebenso sehr von den verfeindeten Doppelpersönlichkeiten von Arthur und Joker wie von der Romanze zwischen Joker und Lee. Als sein Gerichtstermin näher rückt, ist Arthurs Verteidigerin Maryanne Stewart (Catherine Keener) entschlossen, ihren Mandanten als hilfloses Opfer darzustellen, dessen Psyche aufgrund von Kindheitstraumata gespalten wurde und dessen freier Wille von seinem monströsen Alter Ego Joker überlagert wurde. Seine Fans, von denen Lee die Nummer eins ist, haben unterdessen wenig Interesse an einem traurigen Niemand wie Arthur, sondern verehren Joker als Clownprinz des Chaos.

Arthurs Schmerz, eine Nebenfigur im ersten Film, sickert nun in jedem Bild vom Bildschirm. Er ist in der Farbpalette des Inneren der Anstalt präsent, einer widerwärtigen Gefängniswäsche-Kombination aus ekelerregendem Geld und verzweifeltem Grau. Und er ist in Arthurs gequälter Körperlichkeit offensichtlich. Phoenix, der für die Rolle noch einmal erheblich abspeckte, spielt die Figur wie eine Figur aus einem Bruegel-Gemälde, dessen Körper durch die fortwährende Qual seiner eigenen persönlichen Hölle verzerrt ist. Und dann ist da noch die hilflose Qual dieses würgenden, zuckenden Lachens. Arthurs Welt gerät aus den Fugen, als er in einer Musiktherapiesitzung seinen Mithäftling Lee trifft. Der Rahmen wird von Farbe überflutet - insbesondere von den Farbtönen der Joker-Garderobe in Safrangelb, Blutrot und Blaugrün. Und Arthur entdeckt die Musik wieder, die schon immer in ihm steckte. Musik, die, wie die meisten Dinge in Arthur, eine groteske, cartoonhafte Qualität annimmt, sobald sie durch die Linse des Jokers gefiltert wird.

Die Musiksequenzen, die von allem inspiriert sind, von Schwarz-Weiß-Spektakeln der 40er Jahre bis hin zu kitschigen Varieté-Shows im Vegas-Stil, sind die Momente, die den Film aufwerten – insbesondere jene, in denen Gaga im Mittelpunkt steht. Sie ist nicht nur eine faszinierend verräterische und im Grunde unzuverlässige Figur, sie kann auch "That’s Entertainment" mit den Besten herausschmettern. Die Laufzeit des Films macht sich vor allem in den Gerichtsszenen bemerkbar, in denen Lee in den hinteren Teil der Zuschauertribüne verbannt wird und das ohnehin schon nachsichtige Drehbuch noch weiter nachlässt. Und Arthur, der seinen Anwalt feuert und sich selbst verteidigt, fügt seinem Repertoire eine weitere Anti-Stärke hinzu: Der Komiker, der nicht lustig war, und der Sänger, der nicht singen kann, ist auch ein angeberischer Anwalt, der nicht die geringste Ahnung hat, wie er seinen Fall gewinnen kann. Und trotz alledem ist "Joker: Folie à Deux" ein Film, der, wenn man sich darauf einlässt, eine Faszination ausstrahlt, der man von Anfang bis Ende gern folgen mag.

7/10

Quellen
Inhaltsangabe: Warner Bros.
Poster/Artwork: Warner Bros.

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