Der junge Thomas Hutter (Nicholas Hoult) wird von seinem Arbeitgeber auf die lange Reise nach Transsylvanien geschickt. Hier soll er zum finsteren Schloss des geheimnisvollen Grafen Orlok (Bill Skarsgard) reisen, um mit ihm zusammen den Kauf einer Immobilie abzuschließen. Doch Graf Orlok verhält sich ziemlich merkwürdig und in seinem Schloss scheint obendrauf nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen. Irgendwann scheint für den skeptischen Thomas klar, dass der Graf kein gewöhnlicher Mensch ist, sondern vielmehr ein bedrohliches Wesen der Nacht. Graf Orlok hat es zu allem Überfluss auch noch auf Thomas' Ehefrau Ellen (Lily-Rose Depp) abgesehen und macht sich deshalb schon bald mit Sack und Pack auf, um die junge Frau endgültig in seinen teuflischen Bann zu ziehen.
Eines gleich vorweg: Robert Eggers' Remake des ursprünglichen Vampirklassikers "Nosferatu" aus dem Jahr 1922 ist ein Meisterwerk aus atmosphärischer Furcht. Und das so gut, dass das gelegentlich holprige Drehbuch nicht einmal stört.
Eggers hat ein so seltenes Talent, eine Aura okkulter Bedrohung und unheimlicher Atmosphäre zu schaffen, dass es fast unnötig pingelig erscheint, die Ungleichmäßigkeit des Films zu bemerken, mit sensationellen Sequenzen, denen schwächere Sequenzen mit ungewisser Wirkung folgen. Dennoch stelle ich mit etwas Bedauern fest, dass "Nosferatu" weder mit Eggers' "The VVitch" noch mit dem grandiosen "The Lighthouse" in Bezug auf eine kühne Einheit der Vision mithalten kann. Und natürlich kann der Film nicht an F. W. Murnaus Meisterwerk "Nosferatu" aus dem Jahr 1922 heranreichen, das Eggers - laut eigener Aussage - seit seiner Kindheit zu seinen fantasievollen Höhenflügen inspiriert hat. Glücklicherweise versucht seine neue Version nicht, es Murnau gleichzutun, sondern bietet stattdessen einen anderen Ansatz für dasselbe Ausgangsmaterial, nämlich Murnaus unerlaubte Aneignung von Bram Stokers Roman "Dracula" aus dem Jahr 1897, der wiederum aus osteuropäischer Folklore stammt.
Es gibt Sequenzen in "Nosferatu", die so einprägsam und so gut gemacht sind, dass man sich noch einige Zeit allein im Dunkeln etwas unwohl fühlen könnte. Die vielleicht gruseligste Szene des Films ist die Reise des jungen deutschen Immobilienmaklers Thomas Hutter (Nicholas Hoult) zu einem abgelegenen Schloss in den Karpaten in Transsilvanien, das einem geheimnisvollen, vermögenden Kunden, dem Grafen Orlok (Bill Skarsgård), gehört. Obwohl die Roma, denen er begegnet, ihn von dem vermeintlichen Vampirschloss fernhalten und ihn entweder verachten oder für ihn beten, ist Hutter pleite und will sich unbedingt vor seinem neuen Arbeitgeber beweisen, Herrn Knock (Simon McBurney), einem seltsamen, inbrünstigen kleinen Mann, der darauf beharrte, dass er diese Reise antritt. Hutter macht sich Sorgen, wie er seine neue Braut Ellen (Lily-Rose Depp) ernähren soll, die zu Melancholieanfällen neigt und ihn anflehte, nicht von ihrer Seite zu weichen. Ja, Hutter's Aufenthalt im Schloss ist von Anfang an furchterregend. Er ist geschwächt von seiner desorientierenden Übernachtung bei den Roma, besonders als er am Morgen aufwacht und feststellt, dass sie alle weitergezogen sind und sein Pferd mitgenommen haben. Den Rest des Weges muss er durch das raue, verschneite Gelände laufen, ein anstrengender Marsch, und kommt erst des Nächtens an. Hier beginnt Eggers, die Sinne anzusprechen - sowohl die des Protagonisten Hutter und die des Zuschauers - auf eine Weise, die an die beste Gothic-Literatur erinnert. So viele Horrorromane des 19. Jahrhunderts arbeiten mit der Unsicherheit der Wahrnehmung, mit Dunkelheit, flackerndem Feuerschein, riesigen projizierten Schatten, Nebel und Regen, Stürmen und Gewittern, die alles verdecken, was man sehen und hören könnte.
Krankheit, Erschöpfung, Halluzinationen, verstörende Traumzustände und vielleicht eine sich ausbreitende geistige Verwirrung stellen in Frage, was der Protagonist erlebt. Man teilt Hutters verwirrten Zustand, als eine Geisterkutsche vor ihm anfährt und sich die Tür scheinbar von selbst öffnet. Er betritt das Gemäuer immer noch benommen und wird in die mittelalterliche Festung des Grafen Orlok versetzt. Dort durchquert er Eingänge, die irgendwie perfekt konstruiert sind, um einem Angst einzujagen - zwei spitze Torbögen führen zum Burghof, und hinter ihnen steht in der Dunkelheit eine schaurige Gestalt, still und wartend. Hutter bewegt sich langsam und automatisch auf das zu, was ein sicherer Untergang zu sein scheint, und das Publikum geht mit ihm in das steinerne Gebäude, das nur vom Feuer im riesigen Kamin erhellt wird. Der Graf ist groß und gewaltig, aber in einen Umhang und einen Hut gekleidet - jegliche besonderen Merkmale verlieren sich in den tiefen Schatten des Raumes und dem bräunlichen Dunst, der vom Rauch des Feuers erzeugt wird. Nur einmal leuchten Graf Orloks Augen auf und werden sichtbar, wie zwei Funken, die vielleicht das Licht des Feuers oder eben ein teuflischeres inneres Licht reflektieren. Seine seltsame, kehlige Stimme, die klingt, als wäre sie aus dem Grab heraufgezerrt und widerhallend, hämmert auf Hutter ein, um ihn dazu zu bringen, das aufwendige Dokument, das vor ihm liegt, mitzuunterzeichnen. Hutters Nächte im Schloss sind fiebrig, denn er träumt, der Graf besuch ihn bei einer Reihe grausiger, aber erotischer Angriffe, die grobe Spuren auf seiner Brust hinterlassen. Und seine Tage ergehen sich bald in Verzweiflung, während er versucht, einen Weg aus dem unheimlich leeren Schloss zu finden, in dem jede Tür wie in einem Gefängnis verschlossen ist. Seine Bitten, sofort nach Hause zurückzukehren, werden abgelehnt; Graf Orlok besteht darauf, dass er bleibt, bis er wieder gesund und ausgeruht ist. Das Ganze ist großartig gemacht, bis hin zu seiner haarsträubenden Flucht.
Bill Skarsgård und Nicolas Hoult liefern die beiden genialen Darbietungen des Films, die die großartige Wirkung der frühen Szenen im Schloss noch verstärken. Skarsgård ist als Graf nicht wiederzuerkennen, der in einem Schockmoment plötzlich enthüllt wird, schroff und nackt aus seinem Sarg steigt, mit einer Schädelkuppel, brennenden Augen und einem riesigen Schnurrbart wie aus dem berühmten Porträt von "Vlad dem Pfähler", auch bekannt als Vlad Dracula, der historischen Figur, die am häufigsten als Inspiration für Stokers Originalroman genannt wird. Mit Eggers‘ berühmter Manie für historische Recherche und Genauigkeit macht er in Interviews seine ehrgeizigen Pläne deutlich, Graf Orlok als "toten transsilvanischen Adligen" darzustellen, bis hin zu den Schuhen, die er getragen hätte. Und Hoult hat eine noch schwierigere Aufgabe: den seltsamen, betäubten Zustand von Charakteren in Horrorfilmen zu vermitteln, die sich selbst in ihrer Angst gezwungen fühlen, jede verrückte Entwicklung durchzustehen, ob übernatürlich oder nicht. Er ist perfekt als unglücklicher Arbeiter in dieser klassenbewussten Fabel, den sein schleimender Chef dem reichen Aristokraten als kleinen Imbiss anbietet, der als blutsaugendes Monster dargestellt wird, das versucht, sich in der deutschen Stadt Wisborg ein modernes Leben aufzubauen. Schließlich gibt es in Städten mehr menschliche Beute. Dieser Erzählstrang wird durch die Schwerpunktverlagerung des Films auf Ellen verschleiert, die in London schmachtet und auf Thomas‘ Rückkehr wartet. Während er weg ist, leidet sie zunehmend unter Anfällen und Dämmerzuständen, die an Epilepsie oder vielleicht dämonische Besessenheit erinnern. "Zu viel Blut" ist die lapidare Diagnose ihres Arztes, die amüsanter Weise vom Ersatz für Dr. Van Helsing wiederholt wird, der in dieser Version Professor Von Franz heißt. Er ist der Okkultist, gespielt von Willem Dafoe, der in Kleidung im Stil der 1830er Jahre und mit üppigem Bartwuchs wunderbar aussieht und im Film eine zunehmend fesselnde Leistung abliefert.
"Zu viel Blut" ist dennoch ein kluger Ausspruch, der die stumpfsinnige paternalistische Sichtweise der Frauen des 19. Jahrhunderts gut wiedergibt, deren angebliche Tendenz zum Exzess - zu brodelnden Emotionen, sexuellem Verlangen, seelischer Qual - repressiv kontrolliert wurde. Das Drehbuch stützt sich stark auf die Unterdrückung von Ellen, von der Eröffnungsszene an, in der sie als einsames Mädchen gezeigt wird, das inbrünstig um Zuneigung und Verständnis in Form eines Schutzengels, eines tröstenden Geistes, einem was auch immer, betet. Dass ihr Gebet in Form eines "Dämonenliebhabers", der sich als Graf Orlok manifestiert, erhört wird, ist das Ergebnis ihrer eigenen "exzessiven" Macht in Form ihrer paranormalen Gaben. Sie kann bis zu einem gewissen Grad die Zukunft vorhersehen, und letzten Endes wird ihr, trotz aller fieberhaften Bemühungen von Thomas, seinem Freund Friedrich Harding (Aaron Taylor-Johnson) und Professor von Franz, die Aufgabe zufallen, die Zivilisation vor Graf Orlok und der ihn begleitenden Seuche zu retten. "Er kommt", stöhnt Ellen wiederholt in sexualisiertem Entsetzen, während sie sich einerseits nach der Rückkehr ihres Mannes sehnt, andererseits aber auch die unmittelbar bevorstehende Ankunft von Graf Orlok per Schiff übersinnlich ahnt.
Lily-Rose Depp stürzt sich in die Rolle, wobei sie die heftigen, körperverrenkenden Anfälle ihrer Figur Berichten zufolge selbst und ohne Stuntman darstellt. Mit ihren riesigen dunklen Augen und ihren starken, ernsten Gesichtszügen, die zu dem strengen, glattgeklebten Haar und der einengenden Kleidung der damaligen Zeit passen, sieht sie auch wie geschaffen für die Rolle aus. Kurzum: eine tolle Leistung. Dramatisch gesehen schwächelt sie zwar in einigen Schlüsselszenen, insbesondere in ihrer Konfrontation mit Graf Orlok, in der sie sich ihm widersetzt und sich weigert, freiwillig an einem Blutvergießen teilzunehmen, das für ihre unheilige Verbindung offenbar notwendig ist. Plötzlich behandelt sie ihn wie einen alten Freund nach einer schlimmen Trennung. Der Text wird auch ein wenig albern, als sie über diese "Regeln" streiten, wie zum Beispiel die drei Nächte, die er ihr gewährt, um ihn zu sich zu rufen, während er das Leben aller um sie herum ins Chaos stürzt. Und wer will schon noch mehr Regeln oder Erklärungen im Vampirgenre, das ohnehin schon voller Regeln und Erklärungen ist? Eggers hat viele der bekanntesten Regeln über Bord geworfen, die sich in Geschichten und Filmen um die Vampirlegende gebildet haben, und so wird in "Nosferatu" weder mit Kreuzen hantiert noch Knoblauch verwendet. Es scheint, als wollte Eggers die Vampirkunde älterer, härterer Folklore ans Licht bringen, denn die Vampire der Folklore haben nicht immer Blut getrunken. Manchmal haben sie ihre Opfer erwürgt. Manchmal haben sie Nacht für Nacht mit ihren Opfern Unzucht getrieben, bis sie starben. Und obwohl es anatomisch vollkommen Sinn ergibt, tranken anglo-literarische Vampire aus der Kehle. Aber aufgrund von Albträumen im Wachzustand und dem alten Hexensyndrom und dem Druck dieses Gefühls auf der Brust tranken viele Arten von Folk-Vampiren aus der Brust, was man im Film wieder findet.Im Allgemeinen kommt Eggers diese Rückkehr zum Folkloristischen zugute. Und obwohl es schwächere Aspekte von "Nosferatu" gibt, die sich hauptsächlich auf die zweite Hälfte des Films, wenn Graf Orlok in Wisborg ist, konzentrieren, sind es die stärkeren Szenen, die einem im Gedächtnis bleiben. Es gibt beispielsweise ein großartiges Zwischenspiel an Bord, als ein vor Angst schlotternder Seemann, einer der letzten Überlebenden, verzweifelt genug ist, um in den Laderaum des Schoners zu gehen und sich dem zu stellen, was sich in der mysteriösen sarggroßen Kiste befindet. Es ist dunkel im Laderaum und das wechselnde Licht der Laterne lässt den Hintergrund aufblitzen, in der es in der fiebrigen Vorstellungskraft des Zuschauers von gottlosem Leben nur so zu wimmeln scheint. Gänsehaut.
Der Soundtrack tut sein Übriges: mit vagem Gemurmel, Kichern und Rascheln werden Szenen aufgepeppt, und dies auf eine brillante Art, die Welt jenseits der Menschheit bekannten darzustellen. Eggers ist wirklich so begabt im Gothic-Horror, dass man dankbar wäre, wenn er den Rest seiner Karriere damit verbringen würde, seine Fähigkeiten in atmosphärischer Unruhe zu verfeinern - ein Gefühl der Welt als grundsätzlich seltsam und unregierbar. Manch einer würde wohl vorsichtiger mit der Welt umgehen, wenn er diese Einstellung hätte.
8,5/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Universal Pictures
Poster/Artwork: Universal Pictures
Inhaltsangabe: Universal Pictures
Poster/Artwork: Universal Pictures
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