Zwei junge Frauen (Juliette Gariepy, Laurie Fortin-Babin) wachen jeden Morgen vor den Toren des Gerichtsgebäudes in Montreal auf, um dem in den Medien viel beachteten Prozess gegen einen mutmaßlichen Serienmörder (Maxwell McCabe-Lokos) beiwohnen zu können, von dem sie besessen sind und der die Tötung der Opfer gefilmt haben soll. Diese krankhafte Besessenheit führt dazu, dass sie mit allen Mitteln versuchen, das letzte Puzzleteil in die Hände zu bekommen, mit dem man den sogenannten Dämon von Rosemont endgültig überführen könnte: das fehlende Video von einem seiner Morde.
"Red Rooms" ist eine herausragende, verstörende Erfahrung im modernen Thrillerkino, dessen kalter Sog sich von der ersten Szene an entfaltet, da Regisseur Pascal Plante nicht den serienmörderischen Voyeurismus selbst sensationsgierig ausstellt, sondern vielmehr unsere kollektive Obsession mit der Abgründigkeit des Netzes seziert, ohne dabei je in Exploitation oder Kitsch zu verfallen. Im Zentrum steht Juliette Gariépy als Kelly-Anne, deren ausdrucksstarkes, durchweg kontrolliertes Spiel eine kühle, beinahe unheimliche Distanz erschafft, die das Publikum unweigerlich in ihren Bann zieht, denn ihre traurige Faszination für den “Dämon von Rosemont”, Ludovic Chevalier (Maxwell McCabe-Lokos), gerät zur postmodernen Spiegelung unserer Zeit. Gariépy trägt den Film mit einer Präsenz, deren minimalistische Mimik und das stählerne Schweigen jede Regung zum Ereignis machen und die Wirkung des Horrors nicht aus den Taten, sondern aus dem Schweigen, den Blicken und dem düster atmenden Score gewinnt.
Plante dreht die Spannungsschraube ohne Schockbilder weiter, indem er Gewalt und Grauen meidet und stattdessen einen klinisch-grauen Gerichtssaal mit langen Kamerafahrten, stoischer Farbpalette und nüchternen Close-ups erschafft, die weniger zeigen als vielmehr suggerieren, wodurch die Angst förmlich wächst, während Dominique Plantes akkordgewaltige Musik eine unterdrückte Panik spiegelt, die intensiver als jeder Jumpscare wirkt - ein Stil, der den Horror ins Alltägliche verlagert und dessen höchste Armut in der Empathieverweigerung der Menschen liegt. Kelly-Annes Weg von der Zuschauerin zur radikalisierten Beteiligten zeigt exemplarisch den moralisch verwahrlosten Sog des Dark Webs, ohne dabei je die tatsächlichen Gräueltaten zu zeigen, sondern lässt sie im Kopf der Zuschauer stattfinden - für eine Szene, in der sie die Rolle eines Opfers cosplayt und dem Mörder im Gerichtssaal begegnet, reicht ein einziger, quälender Blick aus, um blanken Schrecken zu erzeugen, dabei werden auch Nebenfiguren wie Laurie Babin als Verschwörungs-Fangirl Clémentine eindrucksvoll gespielt und liefern eindringliche Kontrapunkte zum wortkargen Zentrum des Films.
"Red Rooms" ist damit ein Paradebeispiel dafür, wie moderner Thriller- und Horrorkunst mehr im Nicht-Gezeigten, in kalten Räumen, angespannten langen Einstellungen und moralischer Ambiguität liegen kann als in expliziter Brutalität, und Gariépys zentrale Performance, die Kameraarbeit mit langen, im Raum wandernden Takes und das eiskalte Sounddesign verdichten das Werk zu einem der eindrucksvollsten, unbedingt zu empfehlenden Genrebeiträge der letzten Jahre – eine meisterhaft subtil inszenierte Paranoia, die das Publikum zwingt, Teil der dunklen Faszination zu werden, die es eigentlich zu verurteilen sucht.
7,5/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Filmstarts
Poster/Artwork: Nemesis Films Productions


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