https://www.imdb.com/de/title/tt1312221/Die Arktisexpedition rund um Captain Anderson (Lars Mikkelsen) kommt in der lebensfeindlichen Natur des Nordpols einfach nicht weiter – und dann läuft ihnen auch noch ein schwerverletzter Mann in die Arme. Dieser Mann ist Dr. Victor Frankenstein (Oscar Isaac), dem ein ein regelrechtes Monster dicht auf den Fersen ist. Dieses Monster, diese menschenähnliche Kreatur (Jacob Elordi) muss jedoch nach gemeinsamer Gegenwehr von Frankenstein und Andersons Truppe erst mal den Rückzug antreten. Diese unverhoffte Atempause nutzt der Doktor dafür, dem Captain die ganze Misere zu erklären: Der Tod seiner Mutter (Mia Goth) bei der Geburt seines Bruders William (Felix Kammerer) hat ihn gehörig aus der Bahn geworfen und dazu geführt, dass er gewissermaßen dem Tod den Kampf angesagt hat. Fortan setzte er nämlich alles daran, künstliches Leben zu schaffen. Möglich machte das sein wohlhabender Gönner Harlander (Christoph Waltz). Doch das Ergebnis lief aus dem Ruder und trachtet Frankenstein nun nach dem Leben...
Guillermo del Toro erfüllt sich einen Lebenstraum und präsentiert mit einer Neuauflage von "Frankenstein" nicht nur eine weitere Adaption des Stoffes, sondern ein zutiefst persönliches, künstlerisch bedeutendes Werk. Wer nun glaubt, den Mythos von Victor Frankenstein, dem ruhelosen Forscher, und seinem verstoßenen Geschöpf bereits zu kennen, wird hier eines Besseren belehrt. Del Toro gelingt nämlich das vermeintlich Unmögliche: Er verleiht einer altbekannten Geschichte neue emotionale und visuelle Kraft, ohne sich in nur nostalgischer Verbeugung zu verlieren.
Allein das Ensemble ist grandios. Oscar Isaac als Victor Frankenstein überzeugt in jeder Szene: Sein Spiel oszilliert zwischen arrogantem Genie und existenzieller Verzweiflung, ohne jemals in den albernen Wahnsinn anderer Darsteller abzurutschen. Jacob Elordi als Kreatur brilliert mit einer Leistung voller Zärtlichkeit, Schmerz und Verletzlichkeit; er schenkt dem Monster eine Tiefe, die an Boris Karloff in der Universal-Adaption erinnert und Kenneth Branaghs Creature in "Mary Shelley’s Frankenstein" weit übertrifft. Seine physischen Veränderungen spiegeln sowohl Horror als auch Mitgefühl wider - und erschüttern auf stille Weise. Mia Goth, Felix Kammerer und Christoph Waltz komplettieren das einschlägige Figurenensemble. Waltz spielt den Erfinder Harlander mit subtiler Abgründigkeit, Goth als Elizabeth trifft den Kern des viktorianischen Morbiden. Diese Nebenfiguren und ihre Schicksale geben Del Toros Interpretation zusätzliche Tiefe, wobei gerade der Kontrast zwischen der Schönheit und Grausamkeit der Welt die Handlung trägt.
Visuell ist der Film (erwartungsgemäß) eine Wucht. Set-Design und Kostüme sind atemberaubend und erinnern an die handwerkliche Exzellenz, die Del Toro schon in "
Crimson Peak" oder "
Pinocchio" gezeigt hat. Jeder Frame erzählt von Todessehnsucht und Schöpfungsrausch, von Blut und Blitz, von Albtraum und Schönheit. Die Kameraarbeit taucht die Szenen immer wieder in tiefe Schwarz- und Rottöne, verschafft den Gestalten darin aber Raum: Man fühlt sich einem Gemälde entsprungen, das der Finsternis widersteht. Der Score von Alexandre Desplat führt wie ein musikalisch schlagendes Herz durch die Geschichte: melodramatisch, düster, immer ein Echo der emotionalen Untiefen. Effekte und Makeup sind überragend - vor allem, weil sie auf Praktikabilität setzen und CGI gezielt meiden. Die Kreatur erscheint fleischlich und geisterhaft, nie wie ein animierter Sonderling: Das mag technisch beeindrucken, aber es wirkt vor allem menschlich und mitreißend.
Vergleicht man diesen "Frankenstein" mit früheren Adaptionen, zeigt sich Del Toros Liebe zum Original, ohne ihn zum Sklaven der Vorlage zu machen. Im Gegensatz zu Branaghs bombastischer "
Mary Shelley's Frankenstein"-Version setzt Del Toro auf leise Zwischentöne, vielschichtige Charaktere und die emotionale Reise des Monsters. Er befindet sich in guter Gesellschaft mit James Whales Klassikern, doch er überträgt Shelley in die Sprache eines 21. Jahrhunderts, das nach Sinn, Zugehörigkeit und Erlösung dürstet. Del Toro glaubt an die Ernsthaftigkeit der Geschichte, an ihr philosophisches und spirituelles Gewicht - das spürt man in jedem Bild, jedem Dialog, jedem jähen Donnerschlag. Wer bereit ist, zweieinhalb Stunden in eine Welt aus Schnee, Schatten und Sehnsucht einzutauchen, bekommt hier ein Filmerlebnis von grimmiger Schönheit und überwältigender Melancholie geboten.
8/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Filmstarts
Poster/Artwork: Netflix
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