Mittwoch, 31. Juli 2019

The House That Jack Built (2018)

https://www.imdb.com/title/tt4003440/

Psychopath Jack (Matt Dillon) ist auf den ersten Blick nicht unbedingt als klassischer Vertreter seiner Zunft zu erkennen. Der Ingenieur, der sich selbst den Serienmörder-Künstlernamen Mr. Sophisticated gegeben hat, hat bereits 60 Morde auf dem Kerbholz. Er steht in ständigem Austausch mit einem mysteriösen Mann namens Verge (Bruno Ganz), dem er von fünf seiner gelungensten Mordfälle in aller Ausführlichkeit erzählen will. So glaubt ihm die ahnungslos mit einer Reifenpanne gestrandete Autofahrerin (Uma Thurman) nicht, als Jack ihr im spielerisch, vermeintlich ironischen Dialog berichtet, dass er ihr gleich den Schädel einschlagen wird - wie man das als Serienkiller mit unbedarften Personen allein auf weiter Flur so macht. Ein fataler und letzter Fehler für die namenlose Frau. Jack betrachtet jedes seiner Morde als Kunstwerk, das er zu etwas Großem formen will. Gelegentlich kommt dem skrupel- und gefühllosen Killer aber seine Zwangsneurose dazwischen. Nachdem er eine ältere Frau bestialisch ermordet hat, treibt ihn seine Paranoia immer wieder zurück in das Haus, in dem er die Dame getötet hat, um auch das allerkleinste Detail zu überprüfen. Jack will einfach absolut keine Spuren hinterlassen. Das nimmt dann schon groteske Züge an, hindert den Schwerstgestörten aber nicht daran, sein Handwerk weiter zu verfolgen – selbst wenn das Risiko, entdeckt zu werden im Laufe der Jahre immer größer wird. Denn die Polizei rückt dem Serientäter immer näher auf die Fersen, während er sein Gesamtkunstwerk vollenden will...

Mord als Kunst. Mord als unkonventionelle Therapie der Zwangsneurose. Mord als Muse, Medizin und Heroin. Unfähig etwas zu erschaffen im eigentlichen Sinne sucht sich Jack seine Bestimmung im Zerstören. Im Zugrunderichten. Und erschafft damit seine Form der Architektur. Ein bipolares Blutbad zwischen provokantem Wüterich und ernsthaftem Diskurs über die Auslotung künstlerischer Grenzen; ob es so was überhaupt geben darf, kann und ab wann welche ethischen Regeln zum Scheitern verurteilt sind, wenn Kunst in seinem ursprünglichen Begriff uneingeschränkt ausgelebt wird. Und ein Film darüber als semi-autobiographischer Blick hinter die Kulisse eines kranken Genies. Das seine eigenen, persönlichen Dämonen und angreifbare Schwächen mit noch angriffslustigerer Offenheit dem gewollt geschockten Publikum in die Fresse schleudert, dabei aber nicht – wie so oft unterstellt – nur auf den puren Exzess und Skandal aus ist.


Denn Lars von Trier ist einfach nur so intelligent und selbstreflektiert, dass er seine Depressionen, sein gestörtes Frauenbild, seinen Selbsthass und die überhörten, obwohl öffentlich wohl so laut wie niemand rausgestoßenen Hilfeschreie schlicht zu einem neuen Meisterwerk verarbeitet. Ihnen mit bitterbösem Zynismus und tieftrauriger Ironie begegnet, denn eigentlich ist es erschreckend, wie viel von Trier persönlich in diesem Ungetüm steckt. Manche Menschen laufen Amok, manche nehmen sich das Leben, er dreht diesen Film. Man kann ihn abstoßend, gestört, prätentiös und widerlich schimpfen, all das nimmt er wissentlich in Kauf. All das bleibt aus einer gewissen Warte auch verständlich. Wer aus diesem Lager aber wenigstens unter vorgehaltenen Hand schon zulassen kann, das von Trier mit seinem Denkanstoß über die Grenzen von Kunst und besonders dem tiefgehenden Striptease über massive, psychische Probleme wie die Gleichgültigkeit der Allgemeinheit - so lange sie nicht unmittelbar betroffen ist - (nur ein Filmemacher wie von Trier könnte sich in diesen Jack hineinversetzen) nicht nur einen Porno gemacht hat, mit dem ist immerhin zu diskutieren. 

Brutal, provokant, intellektuell und doppelbödig - Lars von Trier ist voll in seinem Element, wie Fans ihn lieben und viele andere ihn hassen. Bei aller Grausamkeit ist "The House That Jack Built" auch noch beachtlich witzig, und bei zweieinhalbstündiger Laufzeit erstaunlich kurzweilig. Derweil scheint die persönliche Note des Autors und Regisseurs ausgeprägter denn je. Es ist kein Geheimnis, dass von Trier viel von sich selbst in die Hauptfigur steckte. Und mit der Besetzung bewies er wieder einen guten Riecher. Matt Dillon war seit "L.A. Crash" kaum aufgefallen, doch in "The House That Jack Built" liefert er eine glänzende One-Man-Show. Dank reichlich Charisma gelingt es ihm, als Unsympath einen ganzen Film zu tragen. Einen entscheidenden Beitrag leistet aber auch die Stimme der Vernunft, genannt Verge - eine der letzten Rollen des verstorbenen Bruno Ganz. Mehrfach unterbrechen Jack und Verge die eigentliche Handlung, um über Kunst zu diskutieren, und diese Dialoge sind nichts anderes als ein laut denkender Lars von Trier, sich seiner selbst stets bewusst. Entwaffnend frech.

Ein reines Serienkiller-Portrait wäre nicht originell gewesen, doch "The House That Jack Built" fügt der Grundidee tiefere Ebenen hinzu, reich an Metaphern und Anspielungen, vor allem im großen Finale. Die Gewaltspitzen können sich nicht an Splatter-Horrorfilmen messen, sind aber genau richtig dosiert, um der Geschichte verstörenden Nachdruck zu verleihen. Der für selbsttherapeutische Werke bekannte Lars von Trier kommuniziert hier verhältnismäßig offen und behält dennoch seinen vertrackten Inszenierungsstil. "The House That Jack Built" ist ein herrlich zynischer, pechschwarzhumoriger Schocker, der das zeitgenössische Kino ein bisschen wachzurütteln vermag.

8/10

Von NAMELESS Media kommt der Film in HD im auf 333 Stück limitierten Mediabook:  

Quellen
Inhaltsangabe: Nameless/Concorde

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